Ich wurde im Sommer 1982 mit 20 eingezogen, quasi auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Damals hat die BW alles genommen, was einen Puls hatte. Ich hatte nicht damit gerechnet, wirklich zum Bund zu müssen, denn ich war laut Personalausweis 2,04 Meter groß, ich ging davon aus, wegen Übergröße ausgemustert zu werden. Dann die Musterung: Ich musste mich an das Maßband stellen, das an der Wand befestigt war und auf dem so ein Winkel verschoben werden konnte. Das Maßband ging nur bis 2 Meter, ich dachte schon, das ist es jetzt gewesen. Da holt sich das Männlein, das mich musterte einen Stuhl und maß die letzten vier Zentimeter von Hand nach. Dann hat er meinen Brustkorb vermessen, ein Meter Umfang. Dann sollte ich tief Luft holen und habe mich bemüht, mit viel Getöse so wenig Luft wie möglich zu holen: 1,05 Meter. Dann - ich übertreibe nicht - hüpfte das Männlein um mich herum und jubelte "Ein Athlet, ein Athlet!"
Da wusste ich, es wird eine harte Zeit.
Meine Grundausbildung habe ich dann in Delmenhorst beim Heer gemacht. Das war vor allem körperlich hart, mit Rödelpfad und der ganzen Schinderei. Uns wurde drastisch eingeschärft, wir bräuchten uns bloß nicht einbilden, wir könnten uns auf die San-Station verpissen. Nach sechs Wochen passierte es dann, ich kam beim Sprung in eine Sandgrube mit einem Bein falsch auf und hatte danach extreme Schmerzen im Fuß. Zunächst dachte ich noch, naja, verknackst, das wird schon wieder, aber als es nach drei Tagen immer noch irre weh tat, nahm ich meinen Mut zusammen und meldete mich auf der San-Station. Der Stabsarzt war kaum älter als ich, sah sich kurz meinen Fuß an und schickte mich dann ohne Befund wieder zurück. Danach hatte mich mein Zugführer voll auf dem Kieker. Der Fuß wurde aber dennoch nicht besser, also meldete ich mich - mit ziemlich vollen Hosen - ein paar Tage später wieder auf der San-Station. Mittlerweile hatten sich an meinen Zehnknochen kleine, punktförmige Blutergüsse gebildet, also wurde ich ins Krankenhaus gekarrt und geröntgt: Drei Zehenknochen gebrochen. Danach kriegte ich einen Liegegips und lag eine Woche stationär. Dem Stabsarzt war das natürlich wahnsinnig peinlich, ihm war auch klar, dass ich ihm vermutlich richtig Ärger hätte machen können. Ich hatte nur Angst, dass ich wegen der Geschichte meine Grundausbildung nicht bestehen und die ganze Schinderei noch einmal machen müsste.
Also bekam ich nach einer Woche einen Gehgips und ein Attest, dass ich voll diensttauglich sei, mit Ausnahme der Tatsache, dass ich nicht mehr als fünf Kilo tragen und nicht weiter als 200 m gehen durfte. Die Kantine war aber 500 Meter von unseren Baracken weg. Also konnten meine Kameraden fortan jeden Morgen ohne mich morgens um 6.30 Uhr im Gleichschritt zum Frühstück marschieren, ein frohes Lied auf den Lippen. Ich wurde vom Kompaniefahrer dann um 8 Uhr abgeholt und zum Frühstück gefahren - dann gab es auch schon frische Brötchen.
Eines Tages kam der Kompaniefahrer nicht, also habe ich mich auf meine Krücken geschwungen und bin ins Kompaniegebäude gehumpelt (rund 200 Meter weg), um zu fragen, wo er denn bleibe. Da meinte der Spieß, jetzt sei ich schon so weit gekommen, jetzt solle ich selbst zur Kantine gehen, der Fahrer sei nicht da. Mein Verweis auf des Attest half nichts, er herrschte mich an, das sei ein Befehl. Also bin ich losgehumpelt, und auf halber Strecke ist dann leider der Gips gebrochen. Also wieder auf die San-Station, neuer Gips, sieben Tage stationär.
Mein Theorie-Unterricht drehte sich um den Nachschub, so lernte ich, dass damals die Grundausstattung eines Soldaten (also das, was im Spind war) 2.600 Mark kostete. Mein Spind-Inhalt hat vermutlich das Doppelte gekostet, denn ich bekam tatsächlich maßgefertigte Klamotten mit meinem Namen im Kragen. Ich fand das hochgradig absurd: Ich wollte nicht zum Bund, war sicherlich auch keine unabdingbare Stütze für die Landesverteidigung, dennoch ließ es sich der Bund eine Stange Geld kosten, mich dabei zu haben. Okay, ihre Entscheidung, nicht meine.
Meine Stamm-Einheit war die 1. Kompanie des 2. Pz.Aufl.L.Btl 32 in Munster, Freiherr v. Boeselager-Kaserne. Die Kaserne war in abbruchreifem Zustand, weil nebenan bereits der Nachfolgebau hochgezogen wurde. Ich wurde zur Mat.-Gruppe eingezogen und machte dann recht bald den Klasse 2. Danach bestand ein Großteil meines Tagesablaufes darin, mit einem Mercedes 1017 mit kaputten Teilen drauf von Munster nach Delmenhorst zu gurken, dann die Teile abzuladen, meine Papiere abzugeben, drei Stunden Zeit totzuschlagen und dann den Eimer, beladen mit neuem Nachschub, wieder nach Munster zu fahren. Die Zeit war öde, aber auszuhalten. Von den Leuten die ich traf, waren ca. 20% schwer in Ordnung und ca. 40% schwer gestört, leider hatten die Gestörten meist mehr Lametta auf der Schulter.
Das Ganze nahm eine höchst unschöne Wendung, als ich am 2. Februar 1983 auf dem Heimweg mit dem Auto verunglückt bin. Ich saß hinten im VW Polo eines Kameraden, wir sind bei Tempo 70 auf der Landstraße auf Glatteis abgeflogen und haben uns um einen Baum gewickelt. Ich habe mir bei dem Stunt zwei Rückenwirbel und mein Handgelenk gebrochen, dann war ich erst mal drei Monate weg vom Fenster.
Den Rest der Dienstzeit habe ich irgendwie abgebummelt, war bei einem ziemlich ernst gemeinten Mordversuch zum Nachteil eines Uffz. anwesend (der Trottel hat's überlebt) und habe während eines Manövers meinen Spieß erschossen. Sein Glück, dass ich nur Üb-Mun im G3 hatte.
Einen späten Höhepunkt erlebte ich im September 1983. Ich hatte einen Studienplatz in Westberlin ergattert und musste nun mit dem Auto dorthin fahren, um mich zu immatrikulieren. Ich war aber noch Bundeswehrsoldat. Also musste ich mich beim Btl.-Kommandeur melden, der hat mich dann vergattert, was ich alles nicht tun dürfe auf dem Weg durch die DDR...
Ich war T2, als ich eingezogen wurde, und T4, als ich entlassen wurde. Ganz toll.
Als ich dann in Westberlin das Studieren anfing, haben mich meine Kommilitonen ausgelacht: "Wieso bist du denn nicht gleich nach Berlin gekommen, sondern warst erst beim Bund?". 1987 bekam ich die Nachricht, ich sei bei der Deutschen Journalistenschule in München angenommen worden. Aber ein Problem gäbe es noch: Ich sei doch in Niedersachsen geboren, und jetzt wäre ich in Berlin, was denn eigentlich mit dem Bund sei? Da war ich das erste mal froh, dass ich das abhaken konnte. Zehn Jahre später bekam ich einen Job bei einer Redaktion, die über Nutzfahrzeuge schrieb. Da waren sie ganz scharf auf meinen Lkw-Schein, der Chefredakteur hatte nämlich schon mal keinen.
Ansonsten hat mich die Bundeswehr viel gekostet, aber mir wenig gegeben.