Also, für den Fahrer in der Todeskugel gilt zunächst mal dieselbe Physik, wie für uns auf der Straße.
Wir auf der Straße sind in der Kurve auf die Seitenführungskraft der Reifen angewiesen, überschreiten wir die maximal übertragbare Seitenführungskraft, rutscht die Karre seitlich weg.
Die maximal zwischen Reifen und Straße übertragbare Kraft wird durch den Haftreibungskoeffizienten µ begrenzt, der bei optimalen Bedingungen in der Nähe von 1 liegt, oft deutlich drunter.
Die in horizontaler Richtung übertragbare Kraft ist das Produkt aus Haftreibungskoeffizient und Gewichtskraft, µ*Fg.
Diese horizontale Kraft kann in eine Längskomponente (Beschleunigen/Bremsen) und eine Querkomponente (Seitenführungskraft) zerlegt werden (Kammscher Kreis). Überschreitet die Resultierende aus beiden Komponenten die maximal übertragbare Kraft, kommt man ins Rutschen. Wenn man also stark bremst/beschleunigt kann man gleichzeitig nicht volle Schräglage fahren und umgekehrt.
Die insgesamt zu übertragende Kraft setzt sich aus Längs- und Querkraft zusammen zu Fges=wurzel(Flängs²+Fquer²). Diese darf nicht über der höchstmöglichen zu übertragenden Reibkraft liegen.
Die Fahrer in der Todeskugel fahren gar keine Kurve, sondern immer geradeaus auf einer gekrümmten Fahrbahn, es ist wie ein Looping bei der Carrera-Bahn, nur dreidimensional. Ähnlich ist das bei den Steilwandfahrern, die in einem Kessel mit senkrechten Wänden rumfahren. Der Steilwandfahrer wird durch die Fliehkraft, die in seinem Fall wegen der gekrümmten Fahrbahn nicht quer zur Fahrtrichtung, sondern in Richtung auf die Fahrbahn wirkt, an die senkrechte Wand des Kessels gepresst. Diese Anpreßkraft muß groß genug sein, daß die Haftreibung zwischen Reifen und Kessel ausreicht, ihn nicht abrutschen zu lassen. Wenn er auf einer waagerechten Umlaufbahn entlang der senkrechten Wand fährt, müssen die Reifen in seitlicher Richtung seine komplette Gewichtskraft übertragen. Er muß also mindesten so schnell fahren, daß er, je nach Reibungskoeffizient, mit mehr als seiner eigenen Gewichtskraft an die Wand gepresst wird. Fährt er langsamer, stürzt er ab. Fährt er schneller, wird er stärker angepresst, stürzt nicht ab, da die Reibkräfte ausreichend sind, aber Reifen und Fahrwerk werden stärker belastet und vielleicht treibt es ihm das Blut aus dem Kopf. Bei den Steilwand- und Todeskugelfahrern hängt die Anpreßkraft an die Fahrbahn also vom Radius der Bahn und der Geschwindigkeit ab.
Wenn wir mit dem Motorrad auf der Straße um eine Kurve fahren, haben wir als Anpreßkraft auf die Fahrbahn die Gewichtskraft, die das Produkt aus Masse und Erdbeschleunigung ist, Fg=m*g. In Schräglage will diese Gewichtskraft das Motorrad nach innen umkippen. Damit das nicht passiert, muß die Fliehkraft ihr das Gleichgewicht halten. Beide Kräfte kann man sich am Schwerpunkt angreifend vorstellen, mit einem Hebelarm der Länge zwischen Reifenaufstandspunkt und Schwerpunkt, die Gewichtskraft senkrecht nach unten wirkend, die Fliehkraft waagerecht. Die Fliehkraft hängt ab von der Masse, der Geschwindigkeit und dem Kurvenradius, Ff=m*v²/r. Die Fliehkraft nimmt also mit höherer Geschwindigkeit quadratisch zu und mit größerem Kurvenradius linear ab. Weitere Formeln stehen in dem Bild.
Wenn Du als mit Deinem Motorrad eine Masse von m=350kg hast und mit 58,4km/h=16,2m/s um eine Kurve mit einem Radius von r=100m fährst, so ergibt sich eine Fliehkraft von Ff = (350kg*16,2m/s*16,2m/s)/100m = 919kg*m/s² = 919N.
Die Gewichtskraft von Dir und Deiner Karre ist Fg = m*g = 350kg*9,81m/s² = 3434N.
Der dazu gehörige Schräglagenwinkel ist alpha = arctan(Ff/Fg) = arctan(919N/3434N) = arctan(0,268) = 15°.
Die Resultierende aus Fliehkraft und Gewichtskraft ist R=Ff/sin(alpha) = 919N/sin(15°) = 3551N.
Deine Federung wird also um DF = R-Fg = 3551N - 3434N = 117N zusätzlich belastet.
Das Verhältnis der Resultierenden zur Gewichtskraft ist R/Fg = 3551N/3434N = 1,03.
Die Querbeschleunigung ist af = Ff/m = 919N/350kg = 2,63 m/s² bzw. 0,27g.
Die gleichen Verhältnisse ergeben sich, wenn Du mit 41,3km/h um eine Kurve mit r=50m oder mit 26,1km/h um eine Kurve mit r=20m fährst. Überall gleiche Fliehkraft, gleiche Schräglage und gleiche zusätzliche Kraft auf die Federung.
Wenn Du die Kurve mit r=100m mit einer Geschwindigkeit von 112,8km/h = 31,3m/s fährst, wird die Fliehkraft genau so groß, wie die Gewichtskraft, die Schräglage beträgt 45°, R/Fg=1,414 (weil 1/sin(45°)=wurzel(2) ist), Deine zusätzliche Last auf der Fedrung beträgt 1422N und die Querbeschleunigung entspricht 1g. Dasselbe mit 79,7km/h bei r=50m und 50,4km/h bei r=20m.
Die durch die Schräglagenfahrt erzeugte zusätzliche Kraft auf die Federung beträgt also bei 45° Schräglage 1422N bzw. 145kg.
Diese Fliehkraft bei 45° muß aber vom Reifen auf die Straße übertragen werden können und das funktioniert nur, wenn µ=1 ist, denn nur dann ist die maximale Reibkraft ja gleich der Anpreßkraft.
Für all diese Betrachtungen sind nur die Kräfte quer zur Fahrtrichtung von Belang. Die gegenüber der Gewichtskraft größere Resultierende läßt Deine Karre bei Kurvenfahrt geringfügig weiter einfedern. Bei den Todeskugelfahrern wirkt wegen deren gekrümmter Fahrbahn die gesamte Fliehkraft zusätzlich auf die Federung.
Aber bei unserer Fahrt mit 45° bei µ=1 darf auch nicht die kleinste Kraft in Längsrichtung (Bremsen/Beschleunigen) dazu kommen, dann geht's ab, siehe Kammscher Kreis. In der Realität kann µ auch mal etwas größer als 1 sein, deshalb geht das überhaupt. Wenn Du also mit konstant 350km/h um die Kurve fahren willst, kannst Du nicht die gleiche Schräglage erreichen, wie mit 50km/h, da ein Teil der vom Reifen auf die Straße übertragbaren Kraft bereits durch die Kraft aufgezehrt wird, die überhaupt zum Aufrechthalten der Geschwindigkeit notwendig ist. Darauf, wie weit Dein Motorrad durch die Schräglage zusätzlich einfedert, hat das keinen Einfluß. Gleiche Schräglage, gleiche zusätzliche Einfederung. Bei den genannten 350km/h kommen aber sicher noch aerodynamische Kräfte hinzu, von denen hier nicht die Rede war.
Bei der Formel für den Schräglagenwinkel ist die Reifenbreite vernachlässigt, bei realen Reifen ergibt sich ein größerer Winkel, je breiter desto größer. Die Resultierende greift dann auch nicht exakt in der Fahrzeughochachse an, so daß sich eine andere Einfederung ergibt.
Rennautos saugen sich durch aerodynamische Hilfsmittel an der Straße fest, "erhöhen" damit quasi ihre Gewichtskraft und können bei gegebenen Reibwerten stärker bremsen/beschleunigen bzw. schneller um die Kurve fahren, als Fahrzeuge ohne aerodynamische Hilfen.
So, ist jetzt etwas länger geworden, als es sollte, aber ich sitze im Wartezimmer und habe Langeweile. Kommt so schnell nicht wieder vor.
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