Vieles ist schon gesagt worden, trotzdem auch noch von mir ein Beitrag, den ich vor mehr als 15 Jahren geschrieben habe und der im Januar 2007 im Tourenfahrer erschienen ist:
"Die Geburt eines Kindes verändert das Leben wohl für alle Eltern grundlegend. Für Motorrad fahrende Mütter und Väter sind die Veränderungen ganz spezifischer Art: die gemeinsamen Ausfahrten und Touren sind in der gewohnten Art nicht mehr machbar, und nicht wenige, die sich das Hobby Motorradfahren nach der Anschaffung von Familienkombi, Kinderwagen und Windeln gar nicht mehr leisten können. Oder manchmal auch nicht leisten wollen, weil sie das damit nun einmal verbundene Risiko angesichts der neu gewonnene Verantwortung nicht mehr einzugehen bereit sind. Wir kennen alle die Anzeigen, in denen Motorräder „wegen Nachwuchs abzugeben“ sind. Ich habe viel Verständnis für eine solche Entscheidung, trotzdem stand für mich schon vor dem ersten Ultraschall fest, dass es einen Weg geben müsste, Vaterschaft und Motorradleidenschaft miteinander zu verbinden. In meinem Fall gelang diese Verbindung schließlich mittels eines Hilfsrahmens und zweier Streben, mit denen ein Beiwagen am Motorrad befestigt wurde, wobei die Wahl auf ein Schwenkergespann fiel: der geringeren Umbaukosten wegen und weil ich auch auf der Familientour Schräglagen nicht missen wollte.
Die ersten gemeinsamen Touren mit meinem damals eineinhalbjährigen Sohn waren dann ein besonderes Erlebnis, das man wohl am besten als die „Entdeckung der Langsamkeit“ umschreiben kann. Wo man früher auf der Suche nach dem letzten Grad mehr Schräglage war, galt es jetzt, den durch keine wesentliche Knautschzone geschützten Passagier im Boot so sicher wie eben möglich über die Hausstrecke zu chauffieren. Dabei immer bereit, auf seitlichen Zuruf wegen scheinbarer Belanglosigkeiten am Wegesrand anzuhalten: seien es Pferde auf einer Weide, eine besonders bunte Blumenwiese oder ein plätschernder Bach. Kindern geht es ganz offensichtlich genauso wie uns selbst: sie entdecken die Welt aus dem Beiwagen heraus ganz anders, nehmen ihre Umgebung viel intensiver wahr als in der schützenden Blechhülle eines Autos. Schließlich beginnt man irgendwann selbst, die Welt wieder ein Stück weit mit Kinderaugen zu sehen und entdeckt eine gänzlich neue Dimension der Faszination Motorradfahren. Dass es auch dem Sohn Spaß machte, zeigt die Entwicklung seines Wortschatzes in dieser Zeit: „´torrad faaahn“ (wenn er wieder auf Tour wollte) und „weitafaahn“ (wenn ihm wieder einmal ein Tankaufenthalt zu lange dauerte) wurden zu seinen meist benutzten Wörtern.
Der Sohn wurde älter, der Wortschatz wuchs in gleichem Maße, wie Helm und Klamotten zu klein wurden und immer wieder gingen wir auf kleinere oder größere Touren. Dabei erwies sich die spezifische Fahrdynamik des Schwenkergespanns als geradezu ideale Metapher für die unvermeidlichen Höhen und Tiefen einer Vater-Sohn-Beziehung: ist man in Rechtskurven ganz nah beieinander, in inniger Zweisamkeit vereint, scheint man in Linkskurven so unendlich weit voneinander entfernt, und ist doch immer fest miteinander verbunden - durch den Rahmen des Gespanns ebenso wie durch enge und liebevolle Familienbande. Und heute? Mittlerweile ist der Filius beinahe acht Jahre alt und kennt die aktuelle Motorrad-Modellpalette besser als sein Vater. Vielleicht auch deshalb, weil die Zeiten lange vorbei sind, in denen ich den Tourenfahrer als erster lesen durfte. Und so sinniert er schon heute vor dem Hintergrund des jeweils aktuellen Tourentests darüber, welches Krad er denn wohl fahren wird, wenn er endlich den Führerschein machen kann.
Dass er einmal Motorrad fahren wird, scheint für ihn zumindest aus heutiger Sicht außer Frage zu stehen. Den Vater macht das glücklich und besorgt zugleich. Die Vorstellung gemeinsamer Touren, bei denen der Filius selbst vorweg fährt, ist verlockend. Die Vorstellung, dass Sohnemann als jugendlicher Heißsporn einmal so um die Ecken fahren könnte, wie es sein alter Herr seinerzeit mit der Kreidler getan hat, macht mir dagegen viel mehr Angst, als ich sie je um mich selbst gehabt habe. Doch es hilft wohl nichts, habe ich ihn doch selbst mit dem Virus infiziert. Andererseits: hätte ich das überhaupt verhindern können? Vielleicht, indem ich ihn nie mitgenommen hätte, sondern alleine auf Tour gegangen wäre? Oder doch nur, indem ich selbst meiner Leidenschaft abgeschworen hätte? Wie könnte ich ihm überhaupt eine Welt vorenthalten wollen, die mein eigenes Leben – trotz des Risikos – so unendlich bereichert hat und immer noch bereichert? Um seine Kinder wird man sich immer Sorgen machen; es bleibt die Hoffnung, dass es mir gelingen wird, meinen Sohn auch für das Risiko des Motorradfahrens zu sensibilisieren und ihm zu vermitteln, dass man es mit der eigenen Fahrweise zumindest ein ganz kleines Stück selbst mitbestimmt. Für den Rest braucht es – wie überhaupt im Leben – vor allem Glück."
Der Text stammt, wie gesagt, von 2006. Inzwischen hat mein Sohn den Führerschein gemacht (2014), und seit dem haben wir viele tolle gemeinsame Touren gemacht, ein Highlight ganz sicher der Besuch der Classis-TT auf der Isle of Man vor drei Jahren. Die Sorgen bleiben, aber die Freude überwiegt nach wie vor!