Ein Kommentar aus der heutigen F.A.Z., Seite T1:
Schuss ins Blaue
Von Lukas Weber
Wer die Debatte der vergangenen Wochen aufmerksam verfolgt, könnte meinen, ein Pesthauch des Todes liegt in der Luft. Falls der Staat nicht rasch überall die giftigen Diesel aussperrt, werden die Menschen in den Städten wie die Fliegen sterben, irrsinnige Todeszahlen wabern durch den Raum. Um wie viele Minuten die Lebenserwartung der Leute denn wohl sinken wird, sagt niemand – kein Wunder, es weiß ja keiner. Aber dass irgend-etwas getan werden muss, gilt den meisten als gewiss, schließlich nehmen die Lungenerkrankungen zu, weil die Luft immer schlechter wird. Diesen Eindruck zu erwecken, haben windige Volksverdummer gut hingekriegt. Nur, dass die Luft so gut wie überall nicht schlechter, sondern immer besser wird. Wer in den sechzigern und siebziger Jahren in der Stadt groß geworden ist, erinnert sich an mannsdicke Rußwolken aus dem Brummi-Auspuff und den betörenden Duft aromatischer Kohlenwasserstoffe, weil Abgasreinigung ein Fremdwort war. Statt aber erstickt unter der Erde zu liegen, schreiben die Kinder von damals heute Kommentare, dass niemand gleich davon umfallen wird, wenn an einer Messstelle, die noch dazu viel zu nah an der Kreuzung steht, die gemessenen Stickoxid-Werte einen Tick zu hoch sind – aber immer noch niedriger als das, was im Büro sein darf. Muss man die Argumente ständig wiederholen, die gegen eine blaue Plakette sprechen? Mal abgesehen davon, dass sie keinen messbaren Erfolg bringen wird: Warum sollten wir mit viel Aufwand Autos umrüsten, wenn sie dann trotzdem draußen bleiben müssen? Ist die Plakette erst einmal da, wird sie nicht das letzte, sondern das erste Mittel der Wahl sein, wenn die Grenzwerte überschritten werden. Mit dem Papperl ist es einfacher, gleich die ganze Stadt abzuriegeln, statt die Straße mit dem einzigen von vier Messpunkten, der zu viel anzeigt. Auf die Klagen, dass der Bann für Tausende Dieselfahrer gar nicht rechtens ist, weil die Kommune es versäumt hat, zuvor ihre alten Busse umzurüsten, sind wir jetzt schon gespannt.