Downunder mit WWBTT........Teil 8
...Im Prinzip war ich in einer Situation, in der für den Ausbruch leichter Panik ein gewisses Verständnis vorherrschen dürfte. Erstaunlicherweise blieb ich aber vollkommen ruhig. Von einigen nicht druckreifen Flüchen einmal abgesehen. So aus der sicheren Distanz betrachtet boten sich natürlich mehrere Möglichkeiten. Für mich gab es aber nur eine Überlegung. Wie komme ich samt Motorrad aus dieser Nummer wieder halbwegs heil raus?
Zunächst sammelte ich die Fakten. Anhand der Kartenkopie war nicht klar erkennbar wann und wo diese Strecke wieder auf befahrbares Terrain stößt. Den Weg zurück zur Schotterpiste kannte ich allerdings. Also ... zurück durch schwieriges aber bekanntes Gelände. Was einmal geht, das geht auch zweimal. Alles andere war unkalkulierbar.
Wolfgang zu suchen erschien mir sinnlos. Selbst wenn ich ihn irgendwo finden sollte ... in welchem Zustand auch immer. Helfen würde ich ihm allein nicht können. Falls er verschollen bleiben sollte, könnte ich von außerhalb wenigstens den ungefähren Ort angeben. Aber irgendwie schien mir echte Sorge um ihn nicht angebracht. Wer hier durchkommt, der kommt überall durch.
Mein Knie schmerzte zwar, war aber sonst funktionsfähig. Einen weiteren Sturz konnte ich mir allerdings nicht erlauben. Nicht in dieser Gegend und nicht bei 45 Grad ohne Schatten. Benzin war ausreichend vorhanden, und die XT kann angeblich eine Menge verkraften. Wahrscheinlich mehr als ich.
-Nahezu unzerstörbar ... ganz im Gegenteil zu ihren Benutzern-.
Ich bedachte die feststeckende Yamaha mit hoffnungsvollen Blicken. In der nächsten Stunde wird sich zeigen, wie robust das Teil wirklich ist. Zweifellos wird sich ebenfalls zeigen, ob langjähriges Krafttraining sich tatsächlich auch mal auszahlt.
160 kg Leergewicht sind kein Pappenstiel. Das merkte ich ziemlich schnell.
Mit sehr viel drücken und zerren gelang es mir tatsächlich die XT aus der Spalte zu befreien. Die Gabel schien ein wenig verzogen und die vordere Felge hatte einen kleinen Seitenschlag.
Meinen Helm verzurrte ich mit viel Gefummel irgendwie am Heck. Alternativ band ich mir mein Halstuch piratenmäßig um den wahrscheinlich hochroten Kopf. So konnte mir der Schweiß nicht in die Augen laufen. Die Reißverschlüsse der Highway-Jacke öffnete ich alle soweit wie möglich, um eine halbwegs spürbare Belüftung zu erreichen. Es war grausam heiß hier um diese Mittagsstunde, und ich geriet schnell außer Atem.
Jetzt den Hügel wieder hinauf ....
Schieben konnte ich vergessen. Selbst mit Motorunterstützung ein selbstmörderisches Unterfangen. Einmal wegrutschen und ich würde mit der Kiste auf dem Rücken wieder hier unten landen. Selbst mit gesundem Knie und unter normalen Umständen kaum machbar. Ich überlegte mir eine Art Zickzack-Route. Von einem halbwegs festen oder ebenen Punkt zum nächsten. Ein Stück aufwärts und dann wieder diagonal. Das dauerte zwar endlos lange, funktionierte aber zu Beginn ganz gut. Der Motor lief, und mehr hüpfend als rollend kämpfte ich mich langsam den Hügel hinauf.
Keine Ahnung mehr, wie oft ich die XT ablegen musste. Immer dann, wenn sie begann wegzurutschen, habe ich sie mehr oder weniger behutsam hingelegt und dann wieder in eine Position gezerrt, aus der es weitergehen konnte. Mittlerweile wog sie so viel wie eine Goldwing und ich war echt am Limit. Als wir fast oben waren, blieb sie in einer Sandkuhle stecken. Bis zum Ritzel eingegraben. Ich war kräftemäßig am Ende. Das Knie spürte ich überhaupt nicht mehr ... wahrscheinlich das Adrenalin und die anderen Notfallhormone. Keuchend und vor Erschöpfung zitternd stand ich neben der abgewürgten Enduro. Die stand ganz ohne Seitenständer gerade und strahlendheiß im Sand, und rührte sich keinen Millimeter mehr von der Stelle.
Schaufeln war nun angesagt. Ich versuchte es mit den Händen. Zwecklos ... der Sand in der Kuhle rutschte immer wieder nach. Irgendwie betrachtete ich die Szenerie plötzlich von oben ... ein wenig wie in diesen Nahtodgeschichten. Ich wurde wütend ... richtig wütend. Dieses letzte kleine Stück noch ... und das Gröbste ist überstanden.
Na dann ... 45 PS luftgekühlt ... Öltank im Rahmen integriert. Mal sehen, was japanische Großserientechnik wirklich verkraften kann.
Der Motor sprang nach einigen Versuchen wieder an und ich begann im Stand mit dem Hinterrad den Sand weg, zu schaufeln. Mit gezogener Vorderbremse, hin und her wackelnd und mit Vollgas schleuderte ich den Sand hoch. Mit allem was der olle Einzylinder hergab.
Wütend und wirklich mit den letzten Kräften, ohne jede Rücksicht auf die Technik. Unzerstörbar ... das werden wir ja sehen. Und tatsächlich ... ich kam frei.
Nachdem ich den Hügel besiegt hatte, fühlte ich mich zwar völlig ausgelaugt aber auch gleichzeitig unbesiegbar. Ich ließ den Helm, wo er war, und ackerte mich langsam aber stetig die Piste entlang. Geradewegs in Richtung Schotterstrecke. Es waren vielleicht 10-15 km ... keine Ahnung...aber ich schaffte dieses Stück nun ohne größere Probleme. Die Sonne knallte ... die XT strahlte eine Hitze ab, wie ein Backofen ... aber sie lief ohne Mucken. An der Abzweigung angekommen stellte ich das Teil ab und zog erstmalig die Lederjacke aus. Erstmal abdampfen und durchatmen. Die Japanerin knisterte und knackte wie ein überhitzter Toaster. Kaputt aber glücklich tätschelte ich die Sitzbank. Das soll ihr erst mal einer nachmachen. Eine wirklich überzeugende Leistung.
In Zukunft werde ich die japanischen Touristenbusse freundlich grüßen. Vielleicht sitzt ein Yamaha-Ingenieur drin. Ehre wem Ehre gebührt.
Von diesem Tag an hege ich auch eine tiefe und ehrliche Hochachtung vor den Typen, die mit Motorrädern durch die Wüste fahren. Bei der Rallye Paris-Dakar beispielsweise. Man kann es nur richtig nachvollziehen, wenn man selbst einmal unter diesen Bedingungen versucht hat vorwärtszukommen.
Auch wenn das heute nur ein vergleichsweise lächerlich kleines Stück war ... und auch nur wenige Stunden. Unvorstellbar ... was diese Leute bei der Rallye leisten müssen!
Einen weiteren kleinen Vorgeschmack davon würde ich in den nächsten Tagen noch bekommen. Aber das konnte ich hier noch nicht ahnen.
Zunächst ging es zurück auf die Weicheier-Strecke. Das war mir jetzt völlig schnuppe. Ab zum nächsten Roadhouse. Dort kippte ich schleunigst ein paar Liter Flüssigkeit nach. In der klimatisierten Bude kehrten die Lebensgeister schnell wieder zurück. Das Knie schmerzte wieder, aber sonst fühlte ich mich prima.
Die Gabel der treuen XT war ein wenig verzogen, sodass der Lenker einige Zentimeter aus der Spur war. Auch das Vorderrad eierte ein wenig. Aber kein Problem, daran gewöhnt man sich schnell. Bis nach Alice Springs waren es noch etwa 300 Kilometer. Ich werde mal austesten, was die leicht lädierte Kiste noch so hergibt. Für einen Tagessieg wird es wohl nicht mehr reichen. Aber ankommen ist manchmal auch schon ein kleiner Sieg.
Fortsetzung folgt