Downunder mit WWBTT.....Teil 35
...Einen genauen Plan, was mein exaktes Ziel anbetraf, hatte ich nicht. Mir war zwar der Straßenname bekannt und auch die Hausnummer, das war es aber auch schon. Improvisation ist eine meiner Stärken. Deshalb knatterten wir gut gelaunt und völlig entspannt in Richtung Zentrum.
Mein biologisches Navigationssystem, womit nicht etwa die aufgeregte Sozia gemeint ist, sondern dieser sechste Sinn für das automatische Auffinden von Zielen in unbekannter Umgebung, dieses System arbeitete wie so oft … autonom und zuverlässig.
„Weißt du überhaupt wo wir hin müssen?“, quakte Anke in meinen geöffneten Helm, als wir mal wieder an einer Ampelkreuzung auf grünes Licht warteten.
Ich deutete mit dem Finger auf eine Reihe hoch aufragender Gebäude in einiger Entfernung und klopfte ihr beruhigend auf den ledernen Oberschenkel.
Die alte Methode eben. Völlige Ahnungslosigkeit durch selbstbewusstes Auftreten kaschieren.
Grüner konnte es nicht mehr werden, deshalb blieb ich auf meiner Spur und scheuchte die XT weiter durch den großstädtischen Verkehr. Die Wolkenkratzerzeile war ein guter Orientierungspunkt und Kreditkarten haben ja auch irgendwie etwas mit Banken zu tun. Diese wiederum haben auf der ganzen Welt die Angewohnheit sich in den jeweils höchsten Hochhäusern einzunisten. Was in Düsseldorf oder Frankfurt gilt, das gilt dann sicherlich auch in Melbourne oder Adelaide.
Irgendwie führte uns unsere Straße aber in eine falsche Richtung. Mittlerweile wurde die ganze Sache aber auch ein wenig unübersichtlich. Dreispurige Straßen mit dichtem Verkehr und dazu noch alles auf der falschen Seite, sehr ungewohnt und alles andere als einfach.
Wir mussten irgendwie abbiegen sonst würden wir die Wolkenkratzerzeile verfehlen. An der nächsten Kreuzung bog ich also mit vollem Elan nach rechts ab und gab Gas.
Meine Sozia trommelte mir aber sofort, wie von Sinnen, beidfäustig auf den Schultern herum und hüpfte dazu exstatisch auf und ab.
Eine verständliche Reaktion, denn eine geschlossene Front von Geisterfahrern rollte dreispurig auf uns zu. Unverschämterweise betätigte die erste Angriffswelle dieser Blechdosen dabei auch noch ihre Licht-und Akustikhupen.
Da muss man die Nerven behalten. Bange machen gilt nicht. Das war mal wieder eine von diesen Situationen, in denen man nicht allzu viel Zeit hat, um einen ordentlichen Plan zu entwickeln. Genau genommen eigentlich überhaupt keine Zeit um irgendeinen Plan zu entwickeln.
Da müssen dann einfach die unbewussten und antrainierten Motorradfahrerreflexe die Kontrolle übernehmen. Erst reagieren und dann denken. Meine Sozia klebte derweil auf meinem Rücken wie ein riesiger Rucksack. Im Rückblick glaube ich, dass sie mich in diesem Moment nicht nur mit den Armen sondern auch mit beiden Beinen umklammert hatte.
Aber ich kann mich auch täuschen.
Wozu hat man eine geländetaugliche Enduro, wenn man damit nicht auch eine Bordsteinkante überwinden kann. Großstadtdschungel eben.
Ich habe wohl einen scharfen Haken geschlagen und vor dem Frontalaufprall auf die rettende Bordsteinkante auch noch irgendwie das Vorderrad ein Stück hochbekommen. Jetzt nicht im Renntempo, sondern mit dem Fuß auf der Bremse. Gerade mal soviel, um nicht die hintere Felge komplett zu killen. Es gab trotzdem einen ordentlichen Schlag und eine Menge erstaunter Blicke von den hektisch zur Seite hüpfenden Fußgängern.
Na also … geht doch!
Bloß nicht in Panik geraten, in unerwarteten Situationen. Hab ich dann auch Anke erklärt. Aber die hatte in dem Moment kein Ohr für meine Expertentipps. Aber mit der Zeit lernt sie das auch noch, da bin ich ganz sicher. Manchmal muss man eben ein wenig Material opfern, um Schlimmeres zu verhüten.
Die XT hatte den Stunt ziemlich gut weggesteckt. Die hintere Felge war zwar leicht verformt aber die Speichen waren noch alle an ihrem Platz.
Das Federbein schien aber kurzfristig überfordert worden zu sein. Aus dem Dämpfer tropfte ein wenig ölige Flüssigkeit heraus. Nur ganz wenig aber immerhin. Hatte ja auch schon einiges auf dem Buckel, der Dämpfer. Normalerweise muss er so was abkönnen. Aber nichts hält ewig. Auch japanische Stoßdämpfer nicht.
Wie es der Zufall so wollte, hatten wir die gesuchte Straße tatsächlich getroffen. Fast eine Punktlandung. Die nächste Querstraße war jedenfalls die Richtige.
Wir ließen die leicht angeschlagene Yamaha einfach an der nächsten Ecke auf dem breiten Gehweg stehen und suchten das Büro auf.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, das uns die Passanten anstarrten. Wir passten in unserem Outfit einfach nicht in diese elegante Umgebung. Diese großstädtischen Australier unterschieden sich in keiner Weise von ihren Zeitgenossen auf der Düsseldorfer Königsallee. Elegante und perfekt geschminkte Geschäftsfrauen in teuren Kostümen. Glatt rasierte Bänker in dunklen Anzügen und all die anderen Bankenviertelgestalten.
Ein echter Kulturschock. Wenn man wie wir, direkt aus dem Outback kommt, dann war das hier eine komplett andere Welt. Eine irgendwie Künstliche und Unechte.
Das war nicht Australien, das war … ich weiß auch nicht.
Wir waren uns sofort einig, so schnell wie möglich aus dieser Umgebung wieder zu verschwinden. In einer der teuren Schaufensterscheiben spiegelte sich unsere Erscheinung. Leicht struppig und schmutzig, mit Stiefeln und Halstüchern. Ungeschminkt und unrasiert. Wie zwei Bauarbeiter auf dem Wiener Opernball.
Die Tanten im AE-Büro erinnerten mich irgendwie an Stewardessen. Oberflächlich freundlich und unverbindlich. Ich tauschte schnell die Karte aus und wir verließen fast fluchtartig diese edelholzvertäfelte und mit blitzsauberem Teppichboden ausgelegte Kunstwelt.
An der Yamaha hatten sich zwischenzeitlich die auch hier allgegenwärtigen Politessen vergangen. Ein Ticket klebte auf dem Tacho.
Diese Unverschämtheit beschleunigte unsere Flucht in die Natur nur.
Deutlich aufmerksamer als bei der Hinfahrt achtete ich nun auf Einbahnstraßenschilder. Nur raus hier.
Am Stadtrand angekommen nahm ich unser Kartenmaterial unter die Lupe. Glücklicherweise lag unser heutiger Campingplatz weit weg von dieser Großstadt. Mehr als 50 km.
Das Hinterrad würde diese Entfernung, mit ein wenig Glück und gutem Zureden schaffen, und die natürliche Beleuchtung war auch noch ausreichend.
Also dann…
Wir erreichten dann auch den markierten Platz ohne größere Probleme. Allerdings auch ohne größeren Luftdruck im Hinterreifen. Ein bisschen Schwund ist eben immer.
Alle waren da. Nur unser Landcruiser fehlte. Kein Gepäck, keine Zelte und vor allem –keine Buschküche. Martin, der gezwungenermaßen das überzählige Motorrad fahren musste, war ebenso ratlos wie wir. Die hätten längst hier sein müssen.
Wir warteten und vertrieben uns die Zeit mit Spaziergängen auf dem weitläufigen Platz. Wie fast immer war die Belegung sehr übersichtlich.
Einige Wohnmobile verloren sich auf dem riesigen Gelände. Camping schien hier nicht sehr beliebt zu sein oder es war einfach die falsche Zeit.
Stunden später traf dann tatsächlich der Landcruiser ein. Der zog aber einen völlig unbekannten und fast neuen Anhänger hinter sich her. Die Aufschrift auf der Plane war die eines weltweit tätigen Verleihunternehmens.
Knut war alleine und ziemlich einsilbig. Olli fehlte. Es war inzwischen dunkel geworden und künstliche Beleuchtung war nicht vorhanden. Wir stellten also die XTs in einer ausgeklügelten Formation auf und beleuchteten mit laufenden Motoren und Fernlicht den Platz. Gepäck und Zelte wurden schnell ausgeladen und in Windeseile aufgebaut. Wir hatten das mittlerweile gut drauf.
Knut machte sich schweigsam an den Aufbau der Buschküche. Neugierigen Fragen wich er geschickt aus. So nach und nach ergab sich dann doch noch ein Bild. Olli hatte den Landcruiser samt Anhänger in einen Straßengraben gesetzt. Der Landcruiser hat das ohne große Beschädigungen überstanden. Der Anhänger allerdings ist dabei wohl zu Bruch gegangen.
Eigentlich keine große Sache für das Team von WWBTT. Irgendwas geht immer zu Bruch, auf deren Touren.
Auch die Tatsache, dass der gute Olli mal wieder mehr Promille im Blut hatte als ein englischer Hooligan nach dem Pokalsieg, war angeblich nicht das Problem. Vielmehr seine fehlerhafte Aufenthaltsgenehmigung.
Das klang alles ziemlich plausibel, aber wenn ich ganz ehrlich sein soll … irgendwie glaubte ich die Geschichte nicht.
Sie hatten den Olli aus dem Verkehr gezogen, soviel war sicher.
Warum nun genau, das blieb dauerhaft ein Betriebsgeheimnis.
Schlimm war auch noch, dass ich nun dem ohnehin schlecht gelaunten Knut noch irgendwie die Sache mit dem Hinterrad nahebringen musste.
Ich griff mir eine Dose und legte mir einen geschickten Plan zurecht. Das hätte ich mir allerdings auch schenken können, denn Anke war schneller.
Zur Strafe musste ich assistieren. Es gab noch ein Ersatzrad. Aber das war auch nicht gerade neuwertig, vor allem der Reifen hatte schon bessere Tage gesehen. Hauptsache rund ... Profil braucht man hier auf den Straßen sowieso nicht. Große Ansprüche konnte ich mir in meiner Situation auch nicht leisten. Manchmal muss man eben nehmen, was man kriegen kann.
Da bin ich oft ziemlich pragmatisch. Aber ich glaube das ist kein überraschendes Geständnis. Auch wenn das unter Umständen jetzt vielleicht ein bisschen missverständlich klingen könnte.
Es war noch eine Heidenarbeit diese Kettenschmiere wieder von den Fingern zu kriegen. Aber man kann ja schließlich nicht mit schmutzigen Händen schlafen gehen.
Nachher gibt das noch eine Infektion.
Fortsetzung folgt