Ich überlege gerade, warum sich Humor eigentlich entwickelt hat und inwieweit Spaß als sozialer Regulator wichtig ist.
Dazu gibt es sicher eine Menge Studien.
So nebenbei mache ich mir im Hinterkopf Gedanken über andere soziale Populationen wie Elefanten, Ratten, Lemminge (aber hauptsächlich, weil Denkprozesse bei mir nur selten geradlinig ablaufen).
Humor greift wohl ziemlich stark ins soziale Gefüge ein und wirkt dabei oft deeskalierend.
Dann gibt es noch die Sorte Humor, die betroffen macht. Dazu zählen meiner Ansicht nach zum Beispiel "schwarzer" Humor, Sarkasmus oder "schmutziger" Humor.
Irgendwie verknüpfe ich diese Arten von Humor mit dem Begriff eines "Kauknochens für das Gehirn". Dinge, die nicht gerne gedacht werden oder Dinge, die beim Denken "weh tun" werden in kleinen Portionen in (vielleicht oft unbewusste) Denkprozesse integriert.
Und so, wie Hunde nicht nur einmal im Leben Gefallen an einem Kauknochen finden, sondern immer wieder danach verlangen, reagiert vielleicht auch das Gehirn.
Dabei geht es eben oft um Tabuthemen wie (für manche Menschen) Sex (auch in nicht akzeptierten Variationen), Krankheit, Tod, diverse politische Gruppierungen, Diskriminierung, Verbrechen etc. Je schwerer man sich mit einem Thema tut, desto heftiger wird auf dem Knochen herumgekaut.
Gleichzeitig ist das Bedürfnis groß, den Knochen auch anderen Menschen in seinem Umfeld anzubieten.
Objektiv betrachtet sind diese Witze oft geschmacklos, übergriffig, abstoßend, vielleicht sogar ekelhaft. Andrerseits bieten sie die Möglichkeit, sich mit Tabuthemen "gefahrlos" auseinanderzusetzen, sie einzuschätzen, zu durchdenken, sich eine Meinung zu bilden und auch, um seinen Horizont zu erweitern. Wenn man so überlegt: sehr viel, über das nicht jeder entspannt sprechen kann, wird immer wieder per Witz kommuniziert.
Ein Beispiel sind Judenwitze, Nazi-Witze, etc. Die oft grausame Pointe solcher Witze schafft auch ein Bewusstsein dafür, wie das früher war, welche Einstellung die Menschen hatten. Witze sind auch alllen Bevölkerungsschichten zugänglich. Ich kenne Personen, die sich vielleicht nie so sehr für die geschichtichen Hintergründe dieser Zeit interessiert hätten, wenn sie keine schlechten Witze darüber gehört und/oder gelesen hätten. Wenn diese Zeit nur noch auf ein paar Seiten in Geschichtsbüchern thematisiert würde, geräte alles zu sehr in Vergessenheit.
Darin sehe ich die Gefahr, dass sich so etwas wiederholen könnte (nicht unbedingt mit Juden).
Über solche Dinge muss gesprochen werden, damit das damit verbundene Elend nicht in Vergessenheit gerät, und vielleicht muss es als Gehirn-Kauknochen auch entsprechende Witze geben.
Wenn es keinen Zweck hätte, wäre es laut Darwin vermutlich aus dem Gen-Pool schon wieder verschwunden.
Die gedanklichen Prozesse sind natürlich nicht bei jedem auf derselben Stufe und nicht jeder geht auf die gleiche Art damit um. Dazu kommt, dass durch den Generationswechsel immer wieder neue Kauknochenbenutzer verfügbar sind.
Klar gibts dann auch Personen, bei denen kein Sensibilisierungsprozess stattfinden wird. Aber die (und eben vielleicht noch mehr) gibts ohne diese Witze auch. Im schlimmsten Fall wird der Witz unkommentiert übernommen.
Und jetzte lehne ich mich sehr weit aus dem Fenster und es gibt hier ganz bestimmt User, die auf diese Aussage abehnend oder empört reagieren: Im besten Fall wirkt er polarisierend, horizonterweiternd und empathiefördernd, weil sich zwei absolute Gegensätze gegenüberstehen - nämlich die Sicht des Witzerzählers und die Sicht des betroffenen Opfers im Witz.
Letztendlich wird es auch immer Menschen geben, die soche Witze nicht (mehr) benötigen, weil sie sich ausreichend mit diesen Themen auseinandersetzen konnten und die Witze sogar richtig schlecht finden.
Mir tun auch die Leute leid, die unter den Witzen besonders leiden, weil sie einer der Zielgruppen angehören und schlecht damit umgehen können, vielleicht sogar getriggert werden. Dennoch scheinen solche Witze unausrottbar zu sein.
Vermutlich ist es auch nicht möglich, den Witzethread in einen "sauberen" und einen "schmutzigen" Bereich zu trennen.
Ich bin jetzt mal nicht explizit auf Sexismus eingegangen.
Gilt für alle derartigen Witze: Ich finde einige dieser Witze oder zumindest die Pointe gut gelungen oder überraschend. Andere sind nervig, abgrundtief schlecht, langweilig oder wirklich abstoßend.
Grundsätzlich ist das Leben kein Ponyhof, macht aber trotzdem Spaß und mit manchen Dingen geht man halt um.
Meine Oma hat immer gesagt: "....wer weiß, wofür's gut ist..."
Noch zwei Statements:
Pass auf, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen.
und:
Wer weiß, ob wir "ohne" nicht schlimmer dran wären als "mit".
Schöne Grüße aus Tirol
Bettina