Ich nehme "Technologieoffenheit" mittlerweile vor allem als Kampfbegriff derer wahr, die sich nicht bewegen wollen. Eigentlich war das von der EU angestrebte Verbrennerverbot ab 2035 ja vor allem als Orientierungpunkt für die Industrie gedacht, Ich habe mir das so ähnlich vorgestellt wie eine anstehende Einführung einer neuen Abgasnorm: Ab einem Stichtag X dürfen Fahrzeuge, die diese Norm nicht erfüllen, nicht mehr (neu) verkauft werden, und deshalb plant jeder Hersteller so, dass seine Palette zum Stichtag umgestellt ist - idealerweise schon weit vorher.
Insofern bin ich irritiert, dass hierzulande alle möglichen Hersteller ihre Investitionen in Stromer überdenken, kürzen und verlagern, während etwa in China inzwischen schon 60% aller neuen Autos BEV sind. Vor 100 Jahren wurde Mercedes-Benz gegründet, eine nennenswerte Pkw-Produktion in China ohne westliche Lizenzen gibt es vielleicht seit 20 Jahren. Dieser lange Erfahrungsvorsprung wird Mercedes nichts nützen, wenn in zehn Jahren nur noch ganz andere Autos verkauft werden dürfen.
Elektroautos, das zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, sind zuverlässig und alltagstauglich. Die Batterien halten offenbar länger als gedacht. Was wir meines Erachtens brauchen, das sind drei Dinge: Erstens ein klares Commitment, dass Pkw in Zukunft batterieelektrisch fahren (wir haben uns auch vom Dampfantrieb und von Zweitaktersprit verabschiedet), zweitens der Wille, die besten Batterien zu entwickeln und in Großserie zu bauen und drittens gemeinsame Anstrengungen für den Aufbau einer Ladeinfrastruktur. Was daran etwas kitzelig ist, ist eins: Die einfachste und kostengünstigste Möglichkeit, ein E-Auto aufzuladen, ist dann, wenn es ohnehin rumsteht, also zuhause oder tagsüber auf der Arbeit. Das wird jeder E-Auto-Fahrer machen, der irgendwie die Möglichkeit dazu hat. Was bedeutet, dass die allermeisten E-Autos selten oder nie unterwegs aufgeladen werden müssen. Das ist dann anders als bei Benzintankstellen. Ein Verbrenner muss immer an der Tankstelle betankt werden, selbst wenn er nur auf Kurzstrecken eingesetzt wird. Das bedeutet: Wenn sich eine wünschenswert dichte E-Ladeinfrastruktur aus sich selbst finanzieren soll (wie es heute das Tankstellennetz tut), dann muss es dabei auf einen Großteil des Umsatzes verzichten, denn der findet nachts in zigtausenden Garagen statt. Man stelle sich mal vor, wie sich unser Tankstellennetz entwickelt hätte, wenn jeder von uns, der in einer Garage parkt, darin ein Benzinfass hat, im dem sich Sprit zu einem günstigen Preis befindet und das regelmäßig aufgefüllt wird.
Man fragt sich, ob es eigentlich Aufgabe des Staates ist, eine Ladeinfrastuktur zu errichten. Der Staat baut und betreibt schließlich auch keine Tankstellen. Andererseits ist damit nicht genügend Geld zu verdienen, deshalb kann man nicht auf die Kraft des Marktes vertrauen. Bis 2035 sind es noch zehn Jahre, bis dahin erwarte ich E-Autos, die mit einer Akkuladung ohne Schleichfahrt 500 km weit fahren können und die in 20 Minuten von "leer" auf "voll" gebracht werden können. Und wenn unsere Autoindustrie so was nicht bringt, dann wird es halt ein Asiate. Die wissen inzwischen auch, dass Langnasen groß und dick sind und bauen ihre Autos entsprechend. Und wenn ich ganz sicher wäre, dass ich in (spätestens) zehn Jahren ein BEV fahren werde, würde ich mich beizeiten darum kümmern, dass ich eine Wallbox an meinen Parkplatz bekomme.
Die Politik hat in den letzten Jahren versucht, den Umstieg auf E-Autos durch üppige Subventionen zu beschleunigen in der Hoffnung, dass die Geschichte ein Selbstläufer wird. Sie könnte natürlich auch im Gegenzug auf Sanktionen setzen: Drastische Erhöhung der Abgaben auf Benzin, Fahrverbote, Schikanen für Verbrenner bei der Zulassung, Steuererhöhungen. Und das ist halt der Unterschied zwischen Deutschland und China: In Deutschland traut sich die Politik nicht, den Bürgern so was anzudrohen, weil sie sonst die nächste Wahl verlieren. In China gibt es keine (freien) Wahlen. Wenn du dir heute in Peking ein Auto kaufst, kannst du ein E-Auto quasi sofort zulassen und nutzen. Bei einem Verbrenner werden die Zulassungstermine verlost, du musst ggfs. monatelang warten. Da würde ich mir auch einen Stromer kaufen.