hallo thomas alias intermezzo,
möchte dir gerne deine furcht vor dem gespannfahren nehmen.
ich habe das selber hingekriegt, und ich bin nicht als meister vom himmel gefallen, noch bin ich inzwischen einer geworden.
wenn du entspannt an das thema rangehst, gelegenheit hast, solch ein gefährt bei geringem verkehr oder erst einmal auf einem parkplatz zu testen, wirst du ganz sicher die scheu davor verlieren.
meinen ersten kontakt zu einem gespann hatte ich in den frühen 1980-ern bei einer saharadurchquerung, auf der ich einen holländer mit seinem bmw-gespann traf. wir waren uns rasch sympathisch, und beschlossen, von tam gemeinsam richtung agadez zu fahren.
es war juli und es war nicht der ideale zeitpunkt, an dieser stelle des globus‘ moped zu fahren, auch wenn meine eigene maschine den namen ténéré trug...
martin.
so hiess er, war ein total verrückter kerl, ein liebenswerter chaot. seine ausrüstung bestand aus ein paar werkzeugen, die er ins boot geworfen hatte, einer decke und ein paar koch-utensilien.
neben einem bemerkensweren vorrat an gras, welches er einhändig in die dünnsten selbstgedrehten verwandelte, die ich je gesehen habe, gab es einen noch bemerkenswerteren gegenstand in seinem beiwagen:
ein altes grammophon!
samt einem stapel schellack platten und dem üblichen riesigen trichterartigen lautsprecher.
so verbrachten wir die gemeinsamen abende am spärlichen lagerfeuer, das durch ein paar tagsüber auf der fahrt gesammelten, verdorrten zweigen am brennen gehalten wurde, in gesellschaft von lale andersen und marlene dietrich.
dies, in kombination mit einem unwirklich klaren und zum greifen nahen sternenhimmel, ist mir in unvergesslicher erinnerung.
wenn ich heute an diese unbeschwerte zeit zurückdenke, bin ich immer noch ergriffen von den gefühlen, die die erinnerung in mir auslösen.
der überschlag.
tiefsandige passagen verlangten von martin, der bis dahin wenig gespann- und noch weniger erfahrung im sandfahren hatte, das
adhoc -erlernen einer besondern fahrtechnik.
ausreichend schwung und anlauf zum durchfahren der weichsandfelder zu bekommen, war bereits schwierig genug, wenn man die altersschwäche des 600-boxers bedenkt. dazu kam ein nicht angetriebenes seitenwagenrad, das seinerseits im sand versank und daher auf der rechten seite unweigerlich bremste.
martin trug statt seiner halbschale inzwischen die typische kopfbedeckung der tuareg: einen sechs meter langen cheche, den er in form eines turbans kunstvoll um seinen kopf zu wickeln pflegte.
es kam immer wieder vor, dass martin aus meinem blickfeld verschwand, weil ich selber alle hände voll zu tun hatte, die yamaha auf kurs zu halten und meine damalige freundin tina nicht vom sozius zu verlieren.
um martin wieder zu finden, war es erforderlich, umzudrehen und nach seiner typischen gespannspur im sand zu suchen.
einmal fand ich ihn ein einer sandigen kuhle, in der er stecken geblieben war. die kampfspuren - in den sand gebaggerte spuren, die im kreis herum führten - waren nicht zu übersehen.
martin lehnte dennoch schmunzelnd und erstaunlich entspannt am motorrad, seine selbstegedrehte im mundwinkel und im vertrauen auf alles glück dieser welt eine gute figur machend unter seinem grünen turban.
das fahren in der mittagszeit ist nicht nur wegen der ungemütlichen temperaturen beschwerlich für mensch und maschine. die senkrecht stehende sonne lässt auch jegliche konturen des bodens zu einer gleißenden fläche verschwimmen.
so ist es fast unmöglich, bei ambitioniertem tempo - und dieses ist auf wellblech und auf weichsandigem untergrund erforderlich - rechtzeitig dellen oder hügel zu erkennen, die einen aus dem sattel katapultieren können.
an diesem tag fuhr martin voraus. wir folgten einem spurenbündel im sand, das neben der tanezrouft-piste eine der wenigen trans-sahara-„autobahnen“ darstellt.
zwischen tamanrasset und agadez liegen über 800 einsame pistenkilometer.
für eine autobahn hat es eher wenig verkehr, speziell im hochsommer fährt hier nur, wer absolut muss, oder wer wie wir aus unterschiedlichen gründen ein schlechtes timing erwischt hat.
(ich selber hatte schlicht noch nicht genug geld bei meiner fliessbandarbeit bei bosch gespart für diese afrikafahrt, die eigentlich bereits im frühjahr hätte beginnen sollen).
vielleicht sieht man am fernen horizont die staubfahne eines lokalen lkw, vielleicht aber auch ein paar tage überhaupt niemanden.
wir orientierten uns an den schwarzen metallpfosten, die alle paar kilometer aus dem sand ragten. fuhr man an einem vorbei, konnte man schon fast dennächsten in südlicher richtung sehen und den folgenden weiter „untern“ erahnen. vorausgesetzt, die sicht war klar, was bei den im sommer üblichen häufigen sandstürmen nicht immer passte.
auch bildeten autowracks, die im laufe der jahrzehnte an dieser piste zurückgelassen wurden in unterschiedlichen ausschlachtungszuständen, entsprechende wegpunkte. bis aufs blanke blech von den heissen sandwinden poliert, metallene skelette der zivilen welt.
mein holländischer freund fuhr vor mir. wir fuhren versetzt, damit der nachfolgende nicht den aufgewirbelten pudrigen sand des vorausfahrenden abbekam.
martin wählte die für ihn passende spur, ich passte mich entsprechend an. es war wie ein formationsflug, ein tolles gefühl, wenn man quasi wie durch gedankenübertragung gesteuert gemeinsam so dahin“fliegt“.
martins cheche wehte im fahrtwind, und der anblick dieses in diesem moment so dynamischen motorradgespannes hatte was von lawrence von arabien.
der untergrund trug ordentlich, und wir konnten es fliegen lassen.
die tachonadel zitterte sich bei 80 sachen ein, das war so das maximum, was die bmw schaffte, und das war auch das minimum, was man bringen musste, um auf den huckeln des wellblechartig geformten pistenuntergrundes dahinzugleiten, ohne dass es einem die plomben aus den zähnen schüttelte.
martin steuerte durch eine leichte senke. an deren tiefster stelle wurde das fahrwerk komprimiert. die zusammengestauchte federung gab am ende dieser mulde einen zusätzlichen katapulteffekt.
das schwere gespann setze zum sprung an. martins cheche wehte flatternd.
ohne noch irgendwas beeinflussen zu können und wohl im gottvertrauen, dass alles wie bisher ein gutes ende finden würde, sah dies für einen kurzen augenblich sogar wie beabsichtigt aus.
die maschine kippte in einem meter höhe nach rechts vorne ab. und schlug ein. in einer staub-explosion.
ein gutes stück hinter dem desaster kam ich zum stehen. beim blick zurück rollte das abgerissene boot noch im sand.
wenn man in der wüste den motor ausschaltet, ist es still. nur der herzschlag, der eigene atem.
eine scheinbare unendlichkeit lang war totenstille.
unser holländischer freund lag in verrenkter position am boden. er war am leben. es kam erst mal kein wort aus seinem mund. mit unserer hilfe setzte er sich hin, und beim anblick des wüsten sammelsuriums verstreuter teile kam es cool über seine lippen:
jetzt muss ich aber eine rauchen!
eine erste inventur brachte ein gebrochenes schlüsselbein zu tage, für dessen diagnose kein röntgenblick nötig war, so standen die beiden knochenenden dicht unter der haut hervor.
unter einem rasch errichteten behelfssonnenschutz wurde martin unter schmerzen soweit stabilisiert. alle auffindbaren gegenstände wurden eingesammelt, und wir berateten, was zu tun sei.
martins gespann war zwar in teilen, aber fahrbar. rahmen, lenker, gabel, alles war krumm, das abgerissene boot zerknautscht und nicht wieder verwendbar.
wir überlegten uns bis in die nacht hinein unterschiedliche optionen.
tina bestand schliesslich darauf, dass sie mit dem grossteil des trinkwassers bei martin ausharren wollte, und ich sollte zurück nach tam, um hilfe zu holen, weil ich alleine und vom gepäck befreit mit der ténéré am schnellsten sein würde.
am folgenden morgen wurden wir noch im dunkeln von einem motorengeräusch geweckt.
da wir quasi mitten auf der piste schliefen, zwar auf einem pistenfächer, der stellenweise aus einem mehrere kilometer breiten spurenbündel bestand, sprangen wir wie von der tarantel gestochen auf, um auf uns aufmerksam zu machen.
eine lange staubfahne hinter sich herziehend, kam ein damals schon alter rundschnauzer lastwagen entgegengerumpelt. gefolgt von einem postgelben mercedes kastenwagen.
beide hielten an unserem camp.
der fahrer des lastwagens hatte es eilig und überließ uns ein paar liter wasser, bevor er weiterfuhr.
im kastenwagen, der in seinem früheren leben pakete für die bundespost ausfuhr, saßen ein wohlgelaunter belgier und zwei wortkarge britische, kaum volljährige tramper, auf dem weg nach westafrika, um den mercedes gewinnbringend zu verkaufen.
während die beiden insulaner rasch wieder im kastenwagen verschwanden und dort unverständlicherweise auch die meiste zeit in den folgende tagen verharrten, war rasch klar, dass der belgier - leider weiss ich seinen namen nicht mehr - uns helfen wollte.
martins zerbrochene 3radträume zurückzulassen, war für keinen eine option, und nachdem alleine meine kompakte 600er yamaha in den kastenwagen passte, nicht aber das, was vom gespann übrig und irgendwie fahrbar war, beschlossen wir, dass ich die bmw fahren würde.
das gespann war eigentlich nur noch ein verbogenes fahrgestell, aber immerhin konnte es sich aus eigener kraft fortbewegen. da es sich durch den überschlag von allem fürs fahren nicht unbedingt notwendigen auf brutale weise entledigt hatte, war es sogar in einer niedrigen gewichtsklasse angekommen, quasi ein boxer, der nun im mittelgewicht antrat. was mir zumindest durch das bessere leistungsgewicht zugute kam.
als sich am frühen vormittag in neuer konstellation unser kleiner konvoi in bewegung setzte, liess ich dem kastenwagen den vortritt, weil er sich ohnehin bald in sand festfahren würde, wie mir der belgier bereits mit gemischten gefühlen anvertraut hatte.
dass dieses unglück auf dieser afrikafahrt eher eines der kleinen probleme sein würde, wusste an dieser stelle noch niemand...
(meine allerersten meter auf diesem verbogenen Etwas sollten mein interesse am gespannfahren für die nächsten 30 jahre massgeblich beeinflussen. nämlich: das geht ja gar nicht!)
an diesem morgen in südalgerien galt mein blick zurück der aufgewühlten stelle im sand, und ich war erst einmal dankbar, dass wir hier niemanden zurücklassen mussten.
als ich in den zweiten gang hochschaltete, fiel mein blick auf einen gegenstand am wegesrand, der sich von der umgebung deutlich abhob:
dort lag der lautsprecher des alten grammophons, den es bis dahin getragen hatte. ich liess ihn dort liegen...