Teil 4 - Ein kleiner aber wichtiger Rückblick . . .
So richtig angefixt mit dem Motorradvirus wurde ich ja von Michael. Wie er genau in mein Leben eingezogen ist, weiß ich nicht mehr genau – plötzlich war er da. Wir standen einen Abend vor unserer kleinen Eckkneipe im Südviertel – er mit dem Motorrad da und ich in meiner beigen Sommerhose und Polohemd. Es war zu früh um nach Hause zu gehen und zu spät noch eine andere Lokalität aufzusuchen. Witziger weise war keiner unserer anderen Kumpels noch da – eine Schicksalsbegegnung in vielerlei Hinsicht.
Er machte den Vorschlag noch von der Tanke an der nächsten Ecke ein paar Bier mittzunehmen und zu ihm nach Hause zu fahren – er würde uns noch eine Tüte drehen, wir könnten Musik hören und ein bisken quatschen. Wie kommen wir denn zu Dir? Er wohnte im Essener Norden – Karnap – quer durch die Stadt – mit`m Moped wie sonst. Meine Fahrerlaubnis für so ein Zweirad war noch nicht mal in der groben Planung, also hinten drauf – ja wie sonst. Bier war gut - `ne Tüte? – meine letzte Tüte war die zur Einschulung – da waren tolle Sachen drin` .
Also: Mopedfahrn`, Bier und `ne Überraschungstüte – Ostern, Weihnachten und Sylvester fielen für mich genau auf diesen einen Tag. Einen Feiertag werden wir noch streichen – den Ersten!
Michael B. war ein blonder Typ mit Schnauzer offenem runden Gesicht blaue Augen etwas mehr als halblange Haare – jedoch ohne erkennbare Struktur in seinen Haaren – ein Spiegelbild seines Lebens. Er war schwer engagiert als Jugendvertreter bei der Krupp Widia. Michael B. wird mich später mal zu einem UZ Pressefest mitnehmen. (UZ = Unsere Zeitung – DKP Blatt). Ich selbst war so politisch interessiert wie ein geflecktes heimisches Nutzvieh, dass in erster Linie für den Butterberg und die Milchproduktion verantwortlich war. Das war für mich totales Neuland.
Dieses Fest fand irgendwo im Ruhrgebiet statt. Auf einem Platz waren verschiedene Stände aufgebaut. Wir haben uns meistens an einem Stand mit dem lustigen Namen „Flöz Sonnenschein“ aufgehalten – dort gab es unter anderem „Klaren aus Kohle“ ein hochprozentiger klarer Schnaps – für einen sozialistischen Spottpreis. (Für die Interessierten: Ein Flöz ist eine sedimentär entstandene ausgedehnte Lagerstätte abbauwürdiger Mineralien (z. B. Kohlenflöz) – äh Schnaps – muss ich nich` erklären – oder?
So an diesem Stand haben wir erst` ma` uns die Kurzen reingezogen – nach dem zweiten fiel mir ein, dass mit Rückfahrt im eigenen Auto jetz` Essig war – na egal morgens gab et auch Frühstück.
Zeit sich mal umzusehen - Mädels – boah eyh! – da waren einige irgendwie so der Welt entrückt. Die langen Haare so`n bisken unaufgeräumt. Ungeschminkt liefen – nein gleiteten die Schnecken da so über`n Platz. Die Kleider alle komplett Figur unbetont und aus sonnem khakifarbenen Jutezeuchs oder so. Aber ich konnte trotzdem dieses Wippen an den weiblichen Rippen erkennen – ohne BH – alle Größen und Formen malte ich mir in meiner jugendlichen Phantasie aus - boaah – ich bekam Augen wie Gewindestangen – meine jugendlichen Hormone erreichten ungeahnte Spitzenwerte. Allerdings hatten viele auch so Jesuslatschen an – so Flipflops mit Lederbändern umme Wade – wohl damitse die Dinger nich verlieren – der Platz war staubig und deshalb hatt die alle dreckige Füße – datt` törnte so`n bisken ab. Aber wie kommze jetz` da ran? Ich lernte die „Internationale“ zu singen – Michael konnte das Lied in 4 Sprachen – brachte bei der internationalen Begegnung mit den Mädels echte Pluspunkte – ich konnte später wenigsten den Anfang auf französisch. Im besoffenen Kopp habe ich dann noch versucht mich politisch zu äußern: „Nieder mir die Kapilisten hoch datt Prollerat – dem Volk gehörn` die Eiers“ - Ja genutzt hattet nix – geschlafen wurde in so Matratzenlagern im Großraum Zelt – wurd` nix – kam nich` ran an die Spielzeuge.
Jetzt bin ich aber vom Thema ab – apropos Spielzeuge. Wir standen da also vor unserer Eckkneipe – wir wollten ja zum Michael nach Hause. Sein fahrbarer Untersatz – eine Kawasaki 500 H1B – 3-Zylinder 2 Takt – 60 PS – gefühlte 160.
Später werde ich erfahren, dass die Maschine „Witwenmacher“ genannt wird – weil das Fahrwerk der Motorleistung nicht gewachsen war. An dieser Maschine klebte schon Blut, der Vorbesitzer hatte einen Fußgänger in die ewigen Jagdgründe befördert. Er hatte die Kurve an der alten Sternbrauerei nicht gekriegt und hat den Fußgänger auf`m Bürgersteig gegen die Hauswand gedrückt.
Also rauf auf dieses Höllengerät, dass einen dermaßenen Höllenlärm durch die 3 in 3 Anlage zu Ohren brachte – das war unbeschreiblich. Da ich keinen Helm hatte, setzte Michael, solidarisch wie er war, auch keinen auf, sondern streifte sich seinen gelben oder orangenen RÖMER Integralhelm mit Druckknopf Verschluss am Visier nur locker übern Arm, der Ellenbogen war schon mal geschützt und aussem Gröbsten raus. Die Druckknöpfe funktionierten eh nicht – deshalb fuhr Michael sowieso mit offenem Visier – sein Trick - immer ein Auge zugekniffen – falls da was reinflog, hatte er immer nach das Andere – toller Trick. Ab ging die Post zur Tankstelle um Bier zu kaufen. Ach so Helmpflicht gab es noch nicht – also nicht nachmachen.
Michael trug eine Lederjacke, die er von seinem Bruder leihweise zur Verfügung gestellt bekommen hatte – der Bruder war einen halben Kopf größer und ¼ weniger Gewicht. Der Bruder hatte die Jacke vom Vater, der auch Motorrad gefahren war. So eine Motorradtradition konnte ich leider nicht vorweisen. Ich hatte ein Bild von meiner Mutter, die lässig im Sommerkleid an einer 250er NSU lehnte, weil sie mit ihrem damaligen Freund einen Ausflug zur Mosel gemacht hatte. Warum hat die den Typen nich` geheiratet – mann eyh!
Die Zusatzbezeichnung H1B kann ich mir bis heute merken – Da war doch in den 80er Jahren die Werbung mit dem HB Männchen – „Warum denn gleich in die Luft gehen – greife lieber zur HB“ – Michael hatte das Vorderrad immer in der Luft – außer beim Bremsen, Tanken oder vor einer roten Ampel.
Also rauf auf die Tanke – Bier in eine Plastik Tragetasche und weiter ging die wilde Fahrt. Quer durch Essen – jeder Scheinwerfer war ein potentieller Gegner – hasse den gesehen – der wollte mich anbaggern – Nehehh ich hab` nix gesehen – außer vielleicht das gleißende Licht am Ende des Lebens – ich hatte alle Hände voll zu tun, mich auf dem Ding festzuklammern und das Bier nicht zu verlieren. Mein Lieblingsthema in der Physik war Massenbeschleunigung – jetzt nahmen diese Formeln und Funktionen reale atemberaubende Formen an. Physik in der Praxis in Reinkultur. Es werden 33 Jahre vergehen bis ich mich ähnlich nahe dem Tode fühle - als ich morgens um 6:30 Uhr im Notarztwagen mit einem Herzkasper liege und drei weiß gekleidete Herren versuchen meine Herzrhythmusstörung in den Griff zu kriegen.
B224 bis zum Ende – bei 160 km/h ersten Bodenkontakt des Vorderrades – rechts in die Arenbergstrasse – am Stadion Matthias Stinnes vorbei – hier hatte 1956 die Deutsche Frauen National Mannschaft 2:1 vor 18.000 Zuschauern gegen Holland gewonnen - bereits wieder mit gelupftem Vorderrad und doppelter Schallgeschwindigkeit – ja echt – erst dachte ich wir werden verfolgt – aber dann habe ich gemerkt dass das es unser eigener Schall war, der den Anschluss verloren hatte. Dann mit einen Affenzahn in eine Siedlung – diverse Haken geschlagen – zielsicher aber verdächtig nahe an parkenden Autos, Verkehrsschildern, Laternen und gepflegten Hecken vorbei - ein oder zwei Blocks weiter den Motor aus – Geräusch Minimierung – und mit dem Restschwung bis vor das Gartentor.
Diese unbeschreibliche Ruhe in dieser Siedlung. Ein leichtes Klappern aus der Tüte mit dem Bier war das einzige Geräusch – das Zittern meines Körpers übertrug sich auf die Tüte und ließ die Bierflaschen aneinander stoßen. Es war aber auch ein bisken frisch – so das es mich ein wenig fröstelte – muss man ja auch ma` sagen. Alle Pullen heile geblieben – nur die Tragelaschen der Tüten hatten sich um ca. 15cm gelängt – ja da waren die Tüten noch aus echtem Erdöl und stabil – nicht diese recycle baren dünnen Dinger die man heute kriegt – datt war noch Qualität. Die Tüte die Michael uns noch gebaut hat war auch nich` von schlechten Eltern – mein lieber Scholli – da waren dann auch jede Menge Überraschungen drin.
Ich könnte noch über den neurotischen Hund vom Michael erzählen – der wurde nämlich vonner Katze großgezogen – ich habe ihn später mal beobachtet wie er vor dem Aquarium gesessen hat und mit der Pfote versucht hat die Fische zu angeln. Von der Katze, die, die den Hund großgezogen hat und dem Wellensittich, dem die Katze immer sehnsüchtig hinterher geguckt hat, weil der fliegen konnte. Sich schon mal tot gestellt hat – damit der Wellensittich auf Schlagdistanz rankommt – hatter abba nie gemacht – der war pfiffich.
Mach ich ein andermal . . . . aber nur wenn das gewünscht wird.
Alles in Allem hat mich aber diese Beschleunigung nicht mehr losgelassen – unbeschreiblich. Das war mit Sicherheit der Urknall – einer der wichtigsten Auslöser, warum ich heute Motorrad fahre.
Wir waren wie Brüder irgendwie – kurz aber intensiv - sind später sogar noch ein paar Mal Motorrad zusammen gefahren – jeder mit einer 4-Zylinder 4-Takt – G ä h n - haben uns dann aus den Augen verloren – ja die Großstadt ist grausam. Ich werde Mitte März 2008 die Zeitung aufschlagen und die Todesanzeige von Michael lesen.
Ein paar Telefonate: „Ja das ist er – sorry war er.“
Wir werden uns an einem anderen Treffen sehen – halt schon mal den Platz frei am Flöz Sonnenschein – wird aber hoffentlich `n bisken später.
Er wurde auf dem Friedhof neben dem Krankenhaus beigesetzt in dem ich zu diesem Zeitpunkt wegen meines Herzkaspers stationär lag – wir haben uns also knapp verpasst.
Glück auf
Holger