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GSATraveler
Gast
Dass wir grundsätzlich eine indirekte Demokratie haben/sind, ist bekannt. Im Unterschied zu den uns umgebenden Staaten haben wir, wie Du ja richtig sagst, eben auch mehrere Elemente der direkten Demokratie. So muss jedes neue Bundesgesetz bzw. jede Gesetzesänderung vor dem Referendum bestehen (ganz zu schweigen von Verfassungsänderungen und wichtigen Staatsverträgen). Diese Form der Mitbestimmung kennt Ihr nicht. Schade. Aber so ist jedes System gewachsen und hat seine eigene Geschichte und Berechtigung.(so wie Deutschland) eine indirekte Demokratie.
Warum haben wir das? Einmal, weil wir es geil finden, direkt mitbestimmen zu können und weil wir es Scheisse finden, wenn über die Mehrheitsmeinung hinweggegangen wird. Wir finden es sehr befriedigend, das Gesicht unseres Landes konkret mitbestimmen zu können. Romantisch? Sicher, aber vor Allem gelebte Realität hier, von der Kommune über den Kanton bis hin zum Bund funktionniert das genau so. Ich bewundere demgegenüber Eure Nehmerqualität, was Ihr Euch alles bieten lasst. Aber gut, das muss nicht ich entscheiden, Ihr werdet schon wissen, was Ihr tut oder tun lasst.
Die Konkordanz d.h. die Einbindung aller wesentlichen politischen Kräfte in die Regierungsverantwortung ist hier einerseits notwendig, weil ohnehin immer das Volk das letzte Wort hat; das Volk ist die Opposition. Andererseits muss Konkordanz aber auch sein wegen der mind. drei Kulturen, die hier irgendwie zusammen leben, ohne dass Verschmelzung/Absorption verlangt wird; das ist die eigentlich heikle Aufgabe, dass die D-Schweizer ihre zahlenmässige Übermacht (60%) nicht einfach durchsetzen, sonst fertig CH. Ihr seid dagegen ein verhältnismässig homogenes Volk; unsere F-Schweizer müssen aber mit D-Schweizern zusammenleben, das ist echt hart (weil die ticken ziemlich unterschiedlich). Und die D-Schweizer können nicht einfach einen auf 'wir wissen, was richtig ist' machen. Ist wie ein Morgenspaziergang auf dünnem Eis. Ein Oppositionssystem wie in den umliegenden Ländern ist aus diesen Gründen hier nicht denkbar und hätte nicht weniger als das Ende der Koexistenz der drei Kulturen zur Folge. Während Ihr bei Euch den Zweihänder auspackt und mal munter loslegt, müssen wir mit der feinen Klinge operieren, sonst zerbricht zu viel (vgl. SVP, diese hehren Fahnenträger des weissen Kreuzes auf rotem Grund).
Das Ganze ist natürlich nicht nur Friede Freude etc, sondern hat diverse Nachteile. Nebst einer gewissen Ineffizienz (der Vorwurf, wir seien langsam, ist keineswegs aus der Luft gegriffen) steht Volkesmeinung dann eben tatsächlich über Allem. Und da die Volksmeinung manchmal von Zorn, Angst, Ignoranz, Herdentrieb, etc. geprägt ist, ergeben sich manchmal objektiv gesehen unbefriedigende Lösungen (u.a. Minarette, Verwahrungsinitiative, Verschärfung des Verkehrsrechts). Andererseits funktioniert die Übertragung der Verantwortung an den Mehrheitsbeschluss in den meisten Fällen doch sehr gut, die Aussetzer waren bisher die Aussnahme, Ausgeglichenheit und Vernunft die Regel; der gut-schweizerische Kompromis, der von aussen betrachtet ein fauler, aber von innen erlebt ein notwendiger ist. Und vor Allem: der Einzelne identifiziert sich aufgrund seiner Einbindung stark mit dem Gemeinwesen (Gemeinde/Kommune, Kanton und Bund, da es auf allen Ebenen gleich läuft). Z.B. obwohl die Steuerhinterziehung aus bekannten Gründen hier relativ einfach wäre, wird sie doch erstaunlich zurückhaltend praktiziert.
Kurz: Wenn hier die Mehrheit einen Blödsinn beschliesst, wird der umgesetzt und akzeptiert und gut ist; ändert die Mehrheit die Meinung wieder, wird es eben wieder geändert; sehr banal das Ganze.
Wenn bei Euch ein Blödsinn beschlossen wird, dann wird lange rumgeeiert, in den Medien geschimpft und hin und her geschossen und Energien gebunden, alles über Monate hinweg, es lebe die Aufregung und das Geschrei und der Aufstand. Und dann könnt Ihr ein paar Jahre später die Regierung in die Wüste schicken - und bekommt in aller Regel doch keine bessere. DAS verstehen wir nicht. Aber das müsst Ihr schon selber wissen, wie Ihr das machen wollt; soviel Kompetenz trauen wir Euch jederzeit zu - im Unterschied zu vielen Deutschen, die uns diese Kompetenz immer wieder gerne absprechen. Aber dieses unser Verhalten ist eben typisch schweizerisch: Wir lassen die anderen ihr Ding selber organisieren und fühlen uns nicht berufen, jedem reinzureden und es (vermeintlich) besser zu wissen. Andere Länder, andere Sitten. Eigentlich eine einfach Formel.
Soweit mein Beitrag zur Völkerverständigung. rolf