Habt ihr noch Chips und Bier?
Dann passt mal uff!
Zitat
Prof. Dr. Walter Krämer
Aus: Pflegemanagement - Hippocrates und Sisyphus
Irrweg „Prävention”
Bevor die nächste Möglichkeit betrachtet wird, diesem Dilemma auf humane Weise zu begegnen, sollte jedoch noch vor einem Irrweg gewarnt werden, den viele für einen Ausweg aus dieser Falle halten, der aber die moderne Kluft zwischen Verheißung und Erfüllung im Gesundheitswesen leider auch nicht überbrückt. Dieser Irrweg, zumindest was Kostendämpfung betrifft, heißt „Prävention statt Therapie”. Der Grund für eine Skepsis ist ebenso trivial wie unangenehm.
In einem englischen Andenkenladen habe ich dazu einmal einen Aufkleber mit folgendem Spruch gesehen: „
If you give up drinking, smoking and sex, you don’t live longer. It just seems like it”.
Das ist natürlich falsch, denn Nichtraucher leben nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv länger als andere, enthält aber trotzdem einen wahren Kern. Denn auch Nichtraucher müssen sterben, genau wie Müsli-Freunde oder Anti-Alkoholiker, und eine per Prävention verhinderte Krankheit macht uns leider nicht unsterblich, wie viele Präventionsverliebte offenbar zu glauben scheinen, sondern in erster Linie doch nur Platz für eine andere.
Die letztendliche Sterblichkeitsrate bleibt immer 100 Prozent, da kann die Medizin machen was sie will. Sterben wir nicht an Krebs A, dann an Krebs B, und sterben wir nicht an Krebs, dann an Alzheimer und Herzinfarkt, und damit bin ich auch schon bei den Kosten angelangt. Denn ob die erfolgreiche Prävention einer bestimmten Krankheit das Gesundheitsbudget entlastet oder nicht, hängt doch offenbar entscheidend davon ab, was billiger ist: die verhinderte Krankheit oder die, die man stattdessen kriegt. Das kann man nicht am grünen Tisch entscheiden, aber es sind einige sehr seriöse Modellrechnungen bekannt, die bezüglich des rein ökonomischen Nutzen von noch mehr Prävention zu eher skeptischen Ergebnissen kommen.
Die berühmte Untersuchung von Leu und Schaub von der Universität Basel zu Rauchen und Gesundheitskosten in der Schweiz, die u.a. zu dem Ergebnis kamen, daß die Schweiz langfristig eher mehr statt weniger für die Gesundheit ausgeben müßte, wenn es dort seit hundert Jahren keine Raucher gäbe. So paradox das auf den ersten Blick auch klingt, aber das Gesundheitswesen würde durch ein totales Rauchverbot nicht billiger, sondern langfristig nur noch teurer (weil nämlich die Kosten, die in den Extra-Lebensjahren des Nichtrauchers entstehen, die vorher gesparten Ausgaben mehr als aufwiegen). Wenn man also ernstnimmt, was man die letzten Monate zu Bonus-Malus beim Krankenkassenbeitrag liest, müßten den Rauchern kein Malus, sondern ein Bonus auf ihren Kassenbeitrag eingeräumt werden (was, nebenbei bemerkt, auch die beste Methode wäre, sie von diesem Laster ein für allemal zu heilen).
Unter reinen Kostenaspekten – abgesehen davon daß es noch andere Aspekte als die Kosten gibt – aber unter reinen Kostenaspekten ist Prävention in der Regel ein Verlustgeschäft. Selbst in der Zahnmedizin, wo die Kostenargumente mich noch am ehesten überzeugen, sind die pro-Argumente längst nicht so wasserdicht wie viele glauben, denn die kurativen Eingriffe werden durch eifriges Zähneputzen ja nicht prinzipiell verhindert, sondern nur ein paar Jahre aufgeschoben. Statt mit 40 bekommt man sein Gebiß dann eben mit 60, aber zahlen muß die Kasse so wie so.
Damit es in diesem wichtigen Punkt nicht zu Mißverständnissen kommt: Es gibt überhaupt nichts gegen gesundes Leben und freiwillige Prävention einzuwenden. Auch wenn Prävention keine Kosten spart, kann sie ja trotzdem sinnvoll sein, und in der Regel ist sie das ja auch. Bedenken sind daher auch weniger zum ob, sondern mehr zum wie der Prävention angebracht. Prävention verlangt nämlich nach Zwang. Freiwillig hat sie auf dieser schönen Erde noch niemals lange funktioniert, so daß hinter dem Zuckerbrot, mit dem man uns gesundes Leben schmackhaft machen will, meist eine große Peitsche droht. Darüber kann auch die bekannte Kundenfänger-Kampagne der Ortskrankenkassen mit dem Motto „Prävention macht Spaß” nicht hinwegtäuschen. Prävention macht nämlich durchaus keinen Spaß. Mir jedenfalls nicht. Ich muß mich zum Zähneputzen genauso zwingen wie zur Frühgymnastik oder zum Verzicht auf ein weiteres Glas Wein, wenn es mir gerade besonders gut schmeckt.
und weiter
Aus einem "
Recht auf" könnte nämlich sehr schnell eine Pflicht zur Gesundheit werden, wie in vielen totalitären Gesellschaften links wie rechts bereits gehabt. Die russische Wochenzeitung „Literaturnaja Gazeta” etwa klagte vor einigen Jahren darüber, daß 30 Prozent der russischen Kinder übergewichtig seien und daß ihre körperliche Verfassung nicht den Ansprüchen einer modernen Industrie und Armee genüge. Alles in allem müsse die Einstellung zur Gesundheit geändert werden, da diese kein Privateigentum sei, sondern dem Staat gehöre. Damit sind den Präventationsfreunden hierzulande durchaus keine totalitären Tendenzen zu unterstellen. Aber die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Hier kämpfen offensichtlich linke Zwangsbeglücker und rechte Paternalisten Hand in Hand, und steht der Liberale einsam in der Mitte.
Karl der Große soll zu seinen Ärzten gesagt haben, als diese ihm gebratenens Fleisch verboten, an dessen Stelle er gekochtes essen könne, sie sollten sich zum Teufel scheren. Was Karl dem Großen Recht war, sollte uns billig sein.
Eine freie Gesellschaft wie unsere sollte sich im Zweifelsfall dazu durchringen, ihre Bürger nach eigener Fasson leben, aber auch nach eigener Fasson krank werden und sterben zu lassen.
Zitat Ende
Hat jemand mal Feuer?