PS:
Bleibt für mich immer noch die Frage nach dem Motiv, wer hat was von dem Beschiss, wer hat sich etwas davon versprochen oder erhalten?
Ein Vorschlag zur Güte: Betrachte die Welt einmal etwas nüchterner.
Also: Bei der ADAC Motorwelt, beim "Gelben Engel" und beim ADAC insgesamt ist Reichweite ein wichtiges Kriterium. Wie viele Konsumenten erreicht der ADAC über welchen Kanal? Ich weiß nicht, wie die Gewichte im Automarkt verteilt sind, aber in den 90er Jahren erzählte mir mal ein Manager aus der Unterhaltungselektronik, dass eine Auszeichung "Europas Videorecorder des Jahres" die Absatzzahlen des prämierten Produktes um bis zu 60% steigen lassen können. Auch ein Urteil der Stiftung Warentest ist wichtig: 75 Prozent aller Produkte, die mit "befriedigend" oder schlechter getestet werden, sind nach einem Jahr nicht mehr auf dem Markt oder werden überarbeitet.
Der ADAC gibt vor, 19 Millionen Mitglieder zu haben. Mitglied ist, wer das Angebot des ADAC nutzt. Insofern ist die Mitgliedschaft im ADAC nicht zu vergleichen mit der Mitgliedschaft in einer Partei oder einer Gewerkschaft. Ich bin zum Beispiel Mitglied im Deutschen Journalistenverband. Die würden mir auch kostenlos einen Presseausweis ausstellen, aber den brauche ich gar nicht, weil ich den von meinem Arbeitgeber bekomme. Das heißt, ich bin im DJV, weil ich dort meine Interessen vertreten haben will. Im ADAC bin ich, weil ich bestimmte Leistungen nutzen will, nicht weil ich mich von denen politisch vertreten lassen will.
Ein Gradmesser für die tatsächliche Reichweite des ADAC konnte es sein, wie viele von den Mitgliedern die Mitgliedszeitung lesen und wie viele sich aktiv mit den Aktionen des ADAC auseinandersetzen. Denn nur die, die sich aktiv für die Ziele des ADAC interessieren, kann er auch politisch vertreten. Die anderen sind nur Kunden, die für eine Dienstleistung zahlen. So, und jetzt kommt der Beschiss ins Spiel: Der ADAC hatte in seiner Mitgliedszeitung alle 19 Millionen Mitglieder aufgerufen, sich an der Wahl des besten Autos zu beteiligen. Gültige Stimmen kamen (wenn ich mich recht erinnere) 71.000 zusammen, das sind weniger als 4 Promille aller Mitglieder. Zum Vergleich: Als die SPD ihre Mitglieder über ihre Mitgliederzeitung "Vorwärts" aufrief, über die Große Koalition abzustimmen, haben sich 75% beteiligt. Daraus schließen wir: Die Aktivitäten des ADAC, die über das vom Kunden gebuchte Produkt hinausgehen, sind fast allen ADAC-Kunden völlig scheißegal.
Daraus folgen zwei Tatsachen: 1. Wenn den Leuten völlig egal ist, was der ADAC macht, meint oder sagt, dann hat der ADAC in politischen Gremien auch kein Gewicht. 2. Und dann taugen ADAC-Ergebnisse auch nicht, um mit ihnen Werbung zu machen - auch nicht in der "Motorwelt". Früher war es gern einmal, dass sich beispielsweise VW nach der Vergabe der Goldenen Engel auf mehrseitigen Anzeigen bei den Lesern für die Wahl bedankte. Man darf davon ausgehen, dass so was mehrere hunderttausend Euro kostet. Zudem zementiert die werbliche Verwendung des ADAC-Preises die Position des ADAC als Instanz mit Einfluss. All das hängt davon ab, dass der Club genügend Mitglieder mobilisieren kann, sich an solchen Wettbewerben zu beteiligen.
Kann er aber nicht, läuft ganz, ganz schlecht. Also hat Kommunikationsschef Ramstetter kurzerhand die Zahlen gefälscht.
Dieses Vorgehen ist in der Medienbranche nicht neu: Zeitungen, TV-Sender und Onlineportale versprechen ihren Werbekunden, Auflage, Reichweite, Einschaltquote. Und oft genug wird dabei geschönt. Doch es gibt in den Medien Gremien wie die IVW, die die tatsächlichen Zahlen erheben, und schwerer zu bescheißen sind. Eine solche Kontrollinstanz fehlt beim ADAC.
Im Grunde hat Motorwelt-Chefredakteur Ramstetter seine Anzeigenkunden beschissen. Das kommt vor, und wer sich dabei erwischen lässt, der ist in der Regel seinen Job los. Aber eine Staatsaffäre ist das auch nicht.
Ob Ramstetter beim Fälschen der Zahlen auch die Verhältnisse gefälscht hat, weiß ich nicht. Denkbar wäre das, denn es lohnt sich für die Motorwelt finanziell nur dann, wenn der Sieger auch bereit ist, anschließend viel Anzeigengeld da zu lassen. Wenn zum Beispiel der Tesla S vom ADAC aufs Treppchen gehoben würde, Tesla aber grundsätzlich keine Print-Anzeigen schaltet, dann ist das blöd, denn VW wird sich sicherlich nicht für einen zweiten Platz bedanken...
Wenn einer in der Medienbranache bei so was erwischt wird, dann gibt es immer bös Haue. Leute werden abgesägt, Anzeigenbudgets gehen verloren etc. Aber eigentlich ist da was sehr unwichtiges passiert. Hätte sich ein ADAC-Prüfungsteam bestechen lassen und in einem Fährschifftest einem Seelenverkäufer ein Top-Zeugnis ausgestellt, das wäre viel Schlimmer gewesen.
Gruß vom Sampleman