Bei dieser Gelegenheit (da der Fred ohnehin ins Stocken geraten ist) mal eine kleine Klassifizierung der Zweizylindermotoren. Es gibt da ja die ausgleichswellenberuhigten und solche, die ohne zusätzliche Schwingungstilger auskommen.
Notwendige Voraussetzung für einen intrinsischen Massenausgleich (1. Ordnung) ist ein Hubzapfenversatz 𝜃, der sich über die Formel 𝜃 = 180° - 2𝜇 aus dem Zylinderbankwinkel 𝜇 berechnen lässt. (Mit den im Folgenden genannten Massenkräften und -momenten sind solche 1. Ordnung gemeint, falls nicht anders bezeichnet.)
1. Beim Paralleltwin mit 𝜇 = 0° müssen die Hubzapfen um 𝜃 = 180° - 2*0° = 180° versetzt zueinander laufen, um die Massenkräfte zu unterdrücken. Das entspricht dem (japanischen) Gegenläufer, der aber den Nachteil der sehr ungleichmäßigen Zündwinkelabstände von 180°/540° hat. Der Gleichlauf lässt zu wünschen übrig und der Klang
ist entsprechend
scheiße ebenso. Außerdem entstehen durch den großen seitlichen Versatz der Kolben Massenmomente, die man mit einer Ausgeichswelle beruhigen sollte. Mit einer (etwas größer dimensionierten) Ausgleichswelle kann man aber gleich die Massenkräfte beruhigen, die ein gleichlaufender Paralleltwin mitbringt, ohne sich die beschriebenen Nachteile des Gegenläufers einzuhandeln. Überdies treten beim Gegenläufer die besonders unangenehm kribbelnden Massenkräfte 2. Ordnung besonders deutlich in Erscheinung.
2. Beim Harley 45°-Twin würde es einen Hubzapfenversatz von 𝜃 = 180° - 2*45° = 90° brauchen, um die Massenkräfte direkt mit der Kurbelwelle auszugleichen. Harley verzichtet darauf selbstverständlich, allein schon wegen des patentierten Potato-Klanges, der mit diesem Versatz nicht darstellbar wäre. Stattdessen behilft man sich (beim Big Twin) lieber mit einer(?) Ausgleichswelle.
3. Allein der (klassische) 90°-V2 bringt wegen 𝜃 = 180° - 2*90° = 0° die Voraussetzung für einen vollständigen Massenausgleich allein durch Gegengewichte an der Kurbelwelle ohne Hubzapfenversatz mit. Die Zündwinkelabstände sind mit 270°/450° moderat und führen zum bekannten Ducati/Moto Guzzi Pulsieren.
4. Einzig der Boxer besitzt sämtliche Vorteile, ohne sich einen Nachteil (bis auf die höhere Komplexität, Größe und Masse) einzuhandeln. Zwar braucht er wegen 𝜃 = 180° - 2*180° = -180° ebenfalls zwei getrennte Hubzapfen, aber diese können ohne Mittellager auskommen und führen deswegen zu vernachlässigbaren Momenten. Jedenfalls bei den früheren Boxern mit niedrigerem Drehzahlniveau. Der Boxer ist als einziges Zweizylinderkonzept frei von Massenkräften aller Ordnungen bei optimalen Zündwinkelabständen von 360°/360°. Einzig für die Momente müssen bei höher drehenden Boxerkonzepten (rel. leichte) Ausgleichswellen verbaut werden.
5. Bei optimalem Gleichlauf stoßen wir auf natürliche Weise wieder zum gleichlaufenden Paralleltwin. Auch er hat Zündwinkelabstände von 360°/360° und ist frei von Massenmomenten aller Ordnungen, jedoch braucht es für die Massenkräfte mindestens eine (recht stark dimensionierte) Ausgleichwelle.
6. Als billig herzustellender Kompromiss hat sich mittlerweile der 270°-Paralleltwin etabliert. Die 270 Grad Hubzapfenversatz sind zwar gerechtfertigt durch Auslöschung der Massenkräfte 2. Ordnung, aber die reduzierten Massenkräfte 1. Ordnung (gegenüber dem Gleichläufer) addieren sich mit den reduzierten Massenmomenten 1. Ordnung (gegenüber dem Gegenläufer) auf ähnliches Schwingungsverhalten wie die beiden anderen Paralleltwinkonzepte. Auch die Zündwinkelabstände von 270°/450° sind ein Kompromiss aus Gleich- und Gegenläufer und produzieren (wie weiter oben bereits erwähnt) ein Ducati Soundimitat.
Dem 270°-Paralleltwin wird ein gleichmäßiger Motorlauf bei niedrigen Drehzahlen nachgesagt, weil hier der Ausgleich zwischen kinetischer Energie der Kolben und Rotationsenergie der Kurbelwelle optimal ist, allerdings überwiegen spätestens beim Gasanlegen die Gaskräfte bei weitem.
Persönliches Vorlieben:
Wenn schon Paralleltwin, dann der echte englische Gleichläufer. Allerdings mit einer Ausgleichswelle, wie zum Beispiel bei der Kawasaki W 650/800. Für mich ein tolles - wenn auch wenig sportliches - Motorenkonzept. Tot beruhigt zum Beispiel bei den Triumphs der ersten Generation mit zwei Ausgleichswellen gefällt er mir aber nicht. Den 270°-Paralleltwin halte ich für einen (im Vergleich zum V2 billig herzustellenden) schwachen Kompromiss und der Gegenläufer geht gar nicht. Verstehe nicht, wie Japan damit Erfolge feiern konnte.
Der 45°-HD-Twin ist technisch gesehen ein nur durch die geringere Baulänge zu rechtfertigendes Motorenkonzept, das technisch eine Vergewaltigung darstellt. Ursprünglich angeblich enstanden, weil man aus einem Einzylinder einen Zweizylinder machen wollte, der nach wie vor in den gegebenen Fahrradrahmen passt.
Den echten V2 (Ducati, Moto Guzzi) kenne ich zu wenig, aber von der Theorie her ein geniales Konzept, das ohne jede Ausgleichswelle auskommt. Nachteil sicherlich der bei tiefen Drehzahlen unrunde Motorlauf.
Der Boxer schließlich thront über all dem, er ist das optimale Zweizylinderkonzept. Lediglich groß, schwer und teuer herzustellen (
), aber schwingungs- und klangtechnisch optimal. Durch fehlendes Mittellager ähnlich leichte Kurbelwelle wie der echte V2, und sogar ohne Überwuchtung derselben. Außerdem prädestiniert für den genialen Längseinbau mit Gelenkwellenantrieb.
Gruß
Serpel