WASTL September 2023: Schon wieder Westalpen ?

Diskutiere WASTL September 2023: Schon wieder Westalpen ? im Touren- & Reiseberichte Forum im Bereich Unterwegs; Sagenhaft!
qtreiber

qtreiber

Dabei seit
26.01.2005
Beiträge
17.114
Ort
Ostfriesland
Modell
R1300GS / Ex: V2S Multi - V4 Pikes Peak - R1250GS - XCountry - Multi1260S - R1200R - ff
Sagenhaft!
 
R

Reincarnator

Themenstarter
Dabei seit
18.11.2016
Beiträge
2.763
Vielen Dank für die netten Worte.

In eigener Sache:

Die sind der Treibstoff für die schreibende Zunft.
Der dritte Fahrtag, Dienstag, der 5.9., ist in Arbeit, aber das ist etwas mehr Text. Das mag ja nicht jeder.

Da muss ich bereits jetzt jene um Verzeihung bitten, die sich höheren Orts schon darüber beschwerten, dass ich zuviel schreibe, sie schauen lieber nur Bilder an.

Dafür habe ich zwar vollstes Verständnis, aber ich berücksichtige das nicht.
Der Grund: Ich schreibe keine "Berichte", es sind "Reportagen". Diese Form der "Berichterstattung" gibt mir die Möglichkeit, persönliche Eindrücke und Empfindungen mit zu verarbeiten, die kein Bild und kein Video wiedergeben kann und die in einem "Bericht" formal nichts zu suchen haben.

Wir haben heute traumhaft schönes Wetter, in unserem Dorf ist Krämermarkt und deshalb schalte ich die Kiste jetzt aus. Morgen dann wieder.

Gruß
Stefan
 
KaTeeM is a schee...

KaTeeM is a schee...

Dabei seit
23.07.2008
Beiträge
4.389
Ort
Irgendwo im Südwesten
Modell
Ne schwatte, ne orange und ganz arg fehlt die weiße...
Der Grund: Ich schreibe keine "Berichte", es sind "Reportagen". Diese Form der "Berichterstattung" gibt mir die Möglichkeit, persönliche Eindrücke und Empfindungen mit zu verarbeiten, die kein Bild und kein Video wiedergeben kann und die in einem "Bericht" formal nichts zu suchen haben.
Absolut nachvollziehbar. So ähnlich sehe und empfinde ich das auch beim Schreiben meiner Reise-Schilderungen. 😉
Und ich für meinen Teil lese Deine Reportagen auch sehr gerne - auch einen größeren Textanteil - und freue mich total auf die weiteren Teile!
 
Zuletzt bearbeitet:
alpenmann

alpenmann

Dabei seit
06.12.2020
Beiträge
173
Ort
Gosheim
Modell
GS 1200 LC 2016, Honda CBX Prolink 1983,
Mach nur weiter so - es ist dein Thema und du schreibst es wie du willst! Den einen gefällst (für die is es ja irgendwie auch) den andern nicht (müssen’s ja nicht lesen)
Mir gefällts, da bekommt man richtig Sehnsucht auch wenn mans sich nicht zutraut. 🫣
 
Juescho

Juescho

Dabei seit
14.07.2019
Beiträge
2.707
Ort
75395
Modell
1200 GS - ADV - 2017 1250 GS Trophy 2023
Sehr sehr fein Stefan ... :super: ... du setzt (mal wieder) Maßstäbe in Sachen "Reportage", wobei auch Deine Bilder und Filme mega geil sind.
Gut das Du ab und an eine Pause beim Schreiben machst :wink: ... dann kann ich beim Lesen auch mal eine machen ... das geht sonst nämlich nicht.
Bitte weiter so ... :mrburns:
 
udob

udob

Dabei seit
20.02.2020
Beiträge
4.503
Ort
Essen
Modell
1250 GS Exclusive
Gut das Du ab und an eine Pause beim Schreiben machst :wink: ... dann kann ich beim Lesen auch mal eine machen ... das geht sonst nämlich nicht.
Dem kann ich mich nur anschließen.
Vielen Dank für die Reportage, werde nach der Ruhepause gerne weiter lesen
😉😉😉
 
S

sigmali

Dabei seit
08.02.2020
Beiträge
2.679
Ort
Landkreis Sigmaringen
Modell
R 1250 GS, EZ 03/2020
Ich liege im Ruheraum zwischen ein paar Saunagängen im Hotel im Allgäu und geniesse Deine Reportagen. Und bin froh, dass ich mangels Können, mangels Kondition und mangels geeignetem Motorrad nicht in Versuchung komme, es Dir nachzumachen. Ich bin gespannt auf Deine weiteren "Berichte".
 
elfer-schwob

elfer-schwob

Dabei seit
09.04.2008
Beiträge
7.141
Ort
im Murrdäle
Modell
1150 GS-A, R 80-Umbau
Da muss ich bereits jetzt jene um Verzeihung bitten, die sich höheren Orts schon darüber beschwerten, dass ich zuviel schreibe, sie schauen lieber nur Bilder an.
Hi Stefan,
ich kenn das bisher nurganzanderschtrum!
Der Autor schreibt wie und was er will, und dem Leser gfälltz oder net...
Erst wenn hier der Lesezwang angeordnet ist, wirz komisch!

Kurzum: weiter so...!
 
R

Reincarnator

Themenstarter
Dabei seit
18.11.2016
Beiträge
2.763
Ahmt, Leute. Nachdem es seit 17 Uhr stürmt und schifft, habe ich mich doch an den PC gesetzt. Teil 5 ist getextet, das bringe ich noch als Abendlektüre.
Wer mich näher kennt, weiß ja, das ich in erster Linie auf meiner eigenen website publiziere. Da ist man dann schon einen Schritt voraus und hat jede Story bequem im pdf-Format
 
Microthrix

Microthrix

Dabei seit
06.11.2019
Beiträge
603
Ort
Südlichstes Südbaden
Modell
K25 EZ 2013
Ahmt, Leute. Nachdem es seit 17 Uhr stürmt und schifft, habe ich mich doch an den PC gesetzt. Teil 5 ist getextet, das bringe ich noch als Abendlektüre.
Wer mich näher kennt, weiß ja, das ich in erster Linie auf meiner eigenen website publiziere. Da ist man dann schon einen Schritt voraus und hat jede Story bequem im pdf-Format
Mega tausend Punkte für dich, Danke 🙏
 
R

Reincarnator

Themenstarter
Dabei seit
18.11.2016
Beiträge
2.763
Hmmm. Klappt so nicht. Zu viele Zeichen. Ich muss das zerlegen.
Oder einfach die pdf verlinken. Das wäre noch einfacher.

Ich zerleg mal.
 
Zuletzt bearbeitet:
KaTeeM is a schee...

KaTeeM is a schee...

Dabei seit
23.07.2008
Beiträge
4.389
Ort
Irgendwo im Südwesten
Modell
Ne schwatte, ne orange und ganz arg fehlt die weiße...
Wenn es Dir nicht zu große Umstände macht, bitte zerlegen... 😉
 
R

Reincarnator

Themenstarter
Dabei seit
18.11.2016
Beiträge
2.763
Mach' ich. Teil 1:

Dienstag, 5. September

Die „Ochsentour“


Was ich heute auf dem Plan stehen habe, sind eigentlich „nur“ ein paar Pässe und Pässchen, die sich aneinanderreihen, dazu ein paar schöne Flusstäler.

Dass das keine gemütliche Altherrenrunde wird, dafür sorgt alleine schon die Reihenfolge:

Col d’Izoard - Guiltal - Col du Parpaillon – Ubayetal - Cime de la Bonette - Col de la Moutière - Col d’Anelle – Tinéetal – Col de la Bonette – Ubayetal – Col du Vars – Durancetal.

In der Übersicht sieht das so aus:

ot1.JPG


Das sind etwa 300 Kilometer und nicht jeder davon ist entspanntes Dahincruisen.

Recht entspannt ist in jedem Fall die Nordrampe des Izoard, die nahezu unmittelbar vor unserer Haustür beginnt. Wir fahren die Avenue du Lautaret runter, dann links und schon geht es los. Der Abschnitt gehört zur D902, der „Route des Grandes Alpes“.

Auf dem Izoard ist um 10 Uhr vormittags die Hölle los, Tausende Motorräder, PKW, Wohnmobile, Caravans. Der Fahrer eines sehr großen, italienischen Wohnmobils fährt durch die schmale Zufahrt des PKW- Parkplatzes und ich frage mich, während ich das genüsslich beobachte, wie er da wieder rauskommen will.

Das fragt sich der Italiener wenig später auch, denn der Parkplatz ist voll und wenden ist nicht, das war von Weitem erkennbar, für ganz Blöde hat man sogar ein entsprechendes Schild aufgestellt.

Ein beleibter Kradfahrer mit gelber Warnweste erbarmt sich und weist den Typ rückwärts wieder aus.

Sollte hier der Verdacht aufkommen, dass ich kein Freund dieser rollenden Scheißhäuser bin, so ist der nicht falsch.

Die nächste, unangenehme Begegnung mit so einem Bumscontainer habe ich wenig später bei der Abfahrt über die Südrampe auf Höhe des Schotterhangs, als der Fahrer in der Gegend rumglotzt, statt auf die Straße und immer weiter nach links zieht, während ich daran bin, an seiner Karre vorbeizufahren.

Meine Hupe holt ihn in die Realität zurück.

ot2.JPG


Col d’Izoard

Wir erreichen das Guiltal, eine malerische Schlucht mit dem türkisblauen Fluss Guil, riesigen Felswänden, Überhängen, Naturtunnels und neuem Fahrbahnbelag. Wir lassen es krachen, selten habe ich dieses malerische Tal, das ebenfalls zur Route des Grandes Alpes gehört, derart verkehrsarm erlebt.

Dabei kommen uns noch zwei Baustellen ganz Recht, an denen wir uns vorne anstellen und so als erste durchstarten. Ein Jammer, wenn man im danach folgenden Kurvenkarussell wieder hinter so einem Wohnkasten herzuckeln muss.

OT3.JPG

Blick ins Durancetal

Im zweiten Kreisverkehr von Guillestre zweigt die Route des Grandes Alpes nach Süden zum Col du Vars ab, wir müssen durch gefühlt zehn weitere Kreisverkehre, bis wir auf der N94 sind, der Hauptverkehrsader, die an der Durance entlangführt. Es folgt eine zwei Kilometer lange Gerade und bevor die N94 die Durance überquert, biege ich links auf eine schmale Straße ab, die zunächst durch kleine Weiler parallel zur Durance stetig bergauf führt.

Auch hier ist es angesichts zahlreicher Weggabelungen und komplett fehlender Beschilderung hilfreich, sich auszukennen. Ich fahre hier zum dritten Mal in diese Richtung.

Sobald man aus dem bewaldeten Bereich herauskommt, hat man einen herrlichen Blick auf das Durancetal und die dahinter liegenden Berge. Auf dem türkisblauen Fluss sehen wir Raftingboote, die sich durch die nun folgenden Stromschnellen kämpfen.

Wir kämpfen uns auch weiter bergauf, passieren den Ort Crévoux und erreichen den Weiler La Chalp, hier stehen die ersten Hinweise auf die „Montée du Parpaillon“ mit dem Radlersymbol und Höhenangaben.

Das schmale Asphaltband windet sich in einigen Serpentinen noch einige Höhenmeter bergauf, dann endet der Asphaltbelag und die geschotterte Waldpiste beginnt.

Wo wir in Deutschland sofort mit einem Verbot belegt wären, befinden wir uns hier auf der D39T, also einer klassifizierten, „offiziellen“ Fahrstraße zum Tunnel du Parpaillon und noch in der Region Hautes Alpes.

OT4.JPG


Basti hat seine zerfetzte Bügeltasche mit drei Kilometern roten Klebebands geflickt, das macht seine T7 zwischen den zahlreichen anderen Motorrädern dieses Typs leicht identifizierbar. Ich habe sie „Rotbäckchen“ getauft. Rotbäckchen Kindersirup ist mir noch ein Begriff aus meiner Kindheit. Die Marke gibt es heute noch, nur dass man heute weiß, was drin ist. Ich glaube, früher war das in erster Linie Zucker, den man damals noch für gesund hielt.

OT5.JPG


Auffahrt zum Parpaillon hinter La Chalp

Die Auffahrt ist wie immer einfach, die Piste recht smooth, das Meiste kann man gemütlich im Sitzen fahren. Zudem sind Wanderer unterwegs, die passiert man langsam und ohne wehende Staubfahne.

OT6.JPG



Während die Anderen im kühlen Waldstück am Fuß des Passes noch ein wenig Pause machen, etwas essen und das erste Bier des Tages aufknacken, fahre ich schon mal voraus.

Ich lasse es lieber gemütlich angehen, zumal jede Menge „bumps“ eingebaut sind, die hier nicht der Verlangsamung des Verkehrs, sondern dem Wasserablauf dienen.

Mit einem von der anderen Sorte werde ich später noch übel Bekanntschaft machen.

OT7.JPG


Kurz vor dem Tunnelportal mache ich noch ein paar Fotos, Basti und Nobi fahren vorbei, Mike kommt nach, vor dem Nordportal des 500 Meter langen Scheiteltunnels treffen wir uns wieder und machen die nächste Pause.

OT8.JPG


Tunnelportal Nordrampe Col du Parpaillom

Da ich geplant habe, am Pont de Bérard, einer Holzbrücke an einem Bach am Fuß der anderen Seite des Passes, Mittagspause zu machen, dränge ich ein wenig zur Eile, allzu viele Pausen verträgt die lange Tour nicht, sofern wir noch im letzten Büchsenlicht wieder in unsere Wohnung kommen wollen.

Da ich aber der Einzige bin, der weiß, was noch vor uns liegt, muss ich etwas insistieren.

Der gerne als „berüchtigt“ beschriebene „Eistunnel“ am Col du Parpaillon ist völlig harmlos, die üblichen, tiefen Pfützen, die vor ein paar Wochen wohl noch massive Eisplatten waren, machen Spaß, lediglich am Ende des Tunnels, das man hier schon bei der Einfahrt sieht, erkenne ich ein Hindernis, im Gegenlicht zwar noch nicht, was es ist, aber es bewegt sich.

Es sind Schafe.

Ein Teil einer Schafherde, die sich im Tunnel vor der gleißenden Sonne auf 2632 Metern Höhe in Sicherheit gebracht hat und jetzt die Ausfahrt versperrt.

OT9.JPG


Aber ein kurzes „Braap braaap“ mit dem Widerhall des Tunnels macht den Viechern Beine und so hat nun auch ein entgegenkommender Aprilia - Tuaregfahrer die Chance, in den Tunnel einzufahren.

Mit der Querung des Tunnels haben wir das Département Hautes Alpes verlassen und sind jetzt auf der D29 im Département Alpes de haute Provence.

Auf der „D“29. Diese Département“straße“ ist eine Frechheit und macht alle lobenden Worte, die ich über die Nordrampe und den Tunnel verloren habe, zunichte.

Dass der obere Teil für Leute mit Höhenangst ein absolutes nogo ist, weiß ich, aber in einem derart hundsmiserablen Scheißzustand habe ich diesen Pistenabschnitt noch nie erlebt und ich bin den schon dreimal in Nord-Süd und zweimal in Süd-Nordrichtung gefahren.

Starke Auswaschungen, jede Menge z.T. großes Geröll, alter Schwede, auf was habe ich mich da eingelassen?

Das hilft nur nichts, ich muss da durch.
 
Zuletzt bearbeitet:
R

Reincarnator

Themenstarter
Dabei seit
18.11.2016
Beiträge
2.763
Teil 2 der "Ochsentour"

ot10.JPG


Oberer Bereich der Parpaillon-Südrampe. Nichts für Leute mit Akrophobie

ot11.JPG


Hier könnte man auch mal wieder durchwischen

Es ist anstrengend, aber es klappt dann doch besser als gedacht. Spätestens als ich über einen kopfgroßen Felsbrocken gerumpelt bin, dem ich nicht mehr ausweichen konnte und bei dem ich mir eigentlich schon sicher war, den Abflug zu machen, aber die schon quer stehende BMW wieder einfangen konnte, kommt etwas mehr Selbstvertrauen auf.

Trotzdem gilt es nun hochkonzentriert weiter zu fahren, um mich nicht doch noch aufs Maul zu packen, denn viel besser wird das bis zur Brücke nicht mehr.

Wir passieren zwei Schweizer, eine Frau, die neben ihrem abgestellten Motorrad steht und einen korpulenten Mann, der ihr von etwas weiter unten entgegenläuft, auch da steht ein Motorrad. Es sind beides naked-bikes von Ducati. Die Frau signalisiert, dass alles okay ist und sie keine Hilfe braucht. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass sie verheulte Augen hat.

Dann hänge ich hinter zwei Typen auf Enfield Himalayan mit belgischen Kennzeichen, ebenfalls offensichtlich Mann und Frau, die derart unberechenbar im Sitzen hin und her über die Brocken rumpeln, dass ein gefahrloses Überholen nicht möglich ist.

Üblicherweise hält man dann an und lässt Schnellere vorbei, aber die beiden denken gar nicht daran.

Eventuell haben die mich auch nicht bemerkt, hupen will ich nicht, so wie die fahren, fallen die vor Schreck sehr sicher vom Mopped.

Wahre Dramen spielen sich hier am Parpaillon ab.

Das nächste Drama bahnt sich am Vesperplatz am Pont de Bérard an, über den man nicht mehr fahren darf, Einsturzgefahr, man fährt durch eine Bachfurt. Als ich eintreffe, läuft die Vorstellung schon.

ot12.JPG


Basti macht große Wäsche

Hauptdarsteller ist Basti, der mit irgendwelchen Kleidungsstücken erst zum Bach und dann zu der Hütte nebenan läuft, wo er sie über den Zaun hängt.

Auf dem Boden verteilt liegen mehrere Sorten Lebensmittel, eine halbvolle Flasche Orangensaft und direkt aus Bastis Topcase gibt es snackgemüse in Orangensauce.

Er hatte die Einkäufe aus dem Supermarkt in Guillestre ohne besondere Sicherungsmaßnahmen ins Topcase gelegt, dass das den Parpaillon nicht überlebt, hätte ich ihm sagen können. Bei mir war es 2016 jedoch eine Halbliterflasche Motoröl.

Man spricht Basti jetzt besser nicht an und es kommt auch nichts mehr von den Essensresten in sein Topcase.

Der Schweizer Ducatifahrer hat seinen Hobel mittlerweile in unserer Nähe abgestellt und sich zu Fuß bergauf auf den Weg gemacht. Einige Zeit später kommt er mit der zweiten Ducati an, die Frau, die wir weiter oben gesehen hatten, kommt zu Fuß.

Gegenüber einer weiteren Gruppe Motorradfahrer, von denen mindestens Einer Deutsch spricht, prahlt der dicke Schweizer mit der Universaltauglichkeit der straßenbereiften Duc, während die Frau abseits von allen auf einem Stein sitzt und mit leerem Blick vor sich hinstarrt.

Wir ahnen, was in der armen Frau vor sich geht, die sich möglicherweise in Todesangst mit einer für diese Zwecke denkbar untauglichen Maschine abgequält hat, bis sie nicht mehr konnte.
Norbert verdreht nur die Augen und sagt leise "So ein Vollidiot".

ot13.JPG


Pont de Bérard. Wegen Einsturzgefahr gesperrt

Es folgen noch ein paar Kilometer weniger ruppige Schotterpiste, auf der man jedoch auch auf Auswaschungen achten muss, dann führt die asphaltierte Straße in Serpentinen in das Dorf La Condamine-Châtelard.

In der zweiten Kurve hupt Norbert und schließt zu mir auf: „Hast Du Deine Luftpumpe dabei?“

Habe ich leider nicht, die liegt in meinem Zimmer in Briancon. Der Vorderreifen der Tuareg ist luftleer. Auch die Felge der 660er weist eine satte Beule auf, die Aprilia hat keine Schlauchreifen, so konnte die Luft entweichen.

Wir fahren entsprechend langsamer weiter, in Jausiers ist eine Kfz-Werkstatt und die haben einen Kompressor. Mit drei bar reicht der Anpressdruck des Reifens gegen die Felge, der Aprilia-Vorderreifen hält die Luft.

Wir müssen zunächst weiter nach Barcelonette und dann wieder zurück nach Jausiers, denn in Barcelonette ist die einzige Tankstelle im Umkreis und der Tank von Mikes SWM ist klein.

Jetzt nehmen wir den Bonette in Angriff, man folgt in Jausiers dem Schild „Nice“. Dieser Wegweiser löst in Norbert etwas aus, von dem wir erst später erfahren.

Zuweilen wird das Gerücht verbreitet, der Col de la Bonette sei der höchste (asphaltierte) Pass der Alpen. Das ist falsch. Das ist der Iséran mit 2770m in Savoyen, gefolgt vom Stelvio (2757m) in Südtirol und dem Agnel (2744m) auf der italienisch-französischen Grenze, ganz in der Nähe. Der Col de la Bonette bringt es nur auf 2715m und damit auf den vierten Platz.

Höher liegt der Einbahn-Rundkurs um die Cime de la Bonette mit 2802m am Hinkelstein, dem beliebten Fotomotiv am Bonette.

Aber das ist eben kein Pass, sondern ein Kreisverkehr.

Und „la plus haute d’Europe“, wie das ein Schild am Fuß des Bonette behauptet, ist das auch nicht, das ist das Ende des Rosi-Mittermaier-Tunnels an der Ötztaler Gletscherstraße mit 2830m, ein Parkplatz für Reisebusse.

ot14.JPG


„Hinkelstein“ an der Cime e la Bonette

ot15.JPG


Auf der C.d.l.Bonette: „Da unten geht es über den Col de la Moutière“

Nach dem obligatorischen Hinkelsteinfoto fahren wir drei Kilometer zurück Richtung Jausiers, dann biege ich im spitzen Winkel links ab, die Schotterpiste führt uns zum kaum bekannten Col de la Moutière, eine unscheinbare Anhöhe mit einem alten Gefechtsstand aus dem zweiten Weltkrieg. Kurz vor dem Moutière ist eine geschotterte Abzweigung, die nach Bayasse und damit zur D902, der Route des Grandes Alpes führt, die über den parallel verlaufenden Col de la Cayolle geht.

ot16.JPG


Hier rechts führt die „Straße“ nach Bayasse. Zum Glück wollen wir da nicht hin

Ich bin die noch nie gefahren, weiß aber aus verschiedenen Quellen, dass die Querspange extrem grob und sehr schwer zu fahren sein soll. Die lassen wir, wo sie ist.

Nach dieser Abzweigung ist die landschaftlich wunderschön durch die hochalpine Landschaft führende, schmale Straße nach St. Dalmas-le-Selvage wieder asphaltiert.

Zum Col d’Anelle muss ich mich gleich am Ortseingang des kleinen Dörfchens rechts halten, an einem Parkplatz vorbei und anschließend über eine Brücke des Torrent de Gialorgues, der Weg zum Anelle führt südlich des Baches.

Am Parkplatz gebe ich ordentlich Gas, wir sind außerorts, es gibt keine Geschwindigkeitsbeschränkung, halali.

Als ich es sehe, ist es zu spät.

Den Huppel. Das Hindernis. Die Schikane. Eine dieser bescheuerten künstlichen Bodenwellen, an der die weiße Farbe, die sie sichtbar macht, fast gänzlich verblasst ist. Ich habe locker 80 Sachen drauf.

Bremsen macht keinen Sinn mehr, ich brauche den vollen Federweg der Gabel, komme im letzten Moment noch in den Stand, verlagere Gewicht nach hinten und gebe nochmal einen kurzen Gasstoß.

Die BMW hebt ab, meine Knie federn durch, der Sattel haut mir gegen den Arsch, aber ich lande stabil. Mike erklärt mir nachher, das habe ausgesehen, als wolle mich mein eigenes Hinterrad in der Luft überholen.

Alter Schwede… wäre ich noch im Sattel gesessen, nicht auszudenken.

ot17.JPG


„Ach, du heilige Sch…“

Nach der Brücke beginnt die Schotterstrecke. Auch die ist ruppig, aber das war sie schon immer. Ich fahre hier zum dritten Mal. Es sind nur drei Kilometer bis zu dem einsamen Pässchen in 1739m Höhe, an dem fünf – hauptsächlich von Wanderern benutzte - Wege zusammentreffen. Ich stelle fest, dass mir hier noch nie ein anderes Fahrzeug begegnet ist.

Auf der Passhöhe ist ein Brunnen, ein Wanderer kommt vorbei, grüßt freundlich und füllt seine Wasserflaschen.

ot18.JPG


Basti fragt mich, ob man das trinken könne. Ja, das kann man. Das schmeckt sogar sehr gut. Solche Trinkwasserbrunnen findet man in der Gegend häufiger und man sollte das nutzen, ich erkläre Basti, dass das Quellwasser hier so gut ist, dass ihm sogar wieder Haare wachsen. Er füllt seine Flasche und droht mir mit Konsequenzen, falls das nicht stimmt. Immerhin habe ich nicht gesagt, wann und wo.

ot20.JPG


Qualität von SW-Motech

Die fünf Kilometer lange, serpentinenreiche Abfahrt nach St. Etienne sur Tinnée ist sandig-steinig und rutschig, eigentlich nicht schwer, aber wir sind ausgepowert, man muss sich sehr konzentrieren, hier keine Fehler zu machen. Ich fahre die Kehren übervorsichtig im Sitzen.

In St. Etienne angekommen, versucht sich Basti in einem Reparaturversuch des SW-Motech Topcaseträger. Die wenig vertrauenserweckende, nach hinten nicht abgestützte Rohrkonstruktion ist gebrochen.

So ein Träger mag für Touren auf schlechten Asphaltstraßen noch taugen, die Strecken auf denen wir unterwegs sind, hält der nicht aus.

Auch die ausgeklügelten Kofferklicksysteme sind da überfordert, aus gutem Grund habe ich das Topcase meiner BMW zusätzlich verschraubt.

ot21.JPG

Meine Karre sieht aus wie Sau

Es ist 18 Uhr vorbei und ich denke, alle haben jetzt genug. Wir fahren auf direktem Weg in unser Basislager nach Briancon. Der „direkte Weg“ beträgt immerhin noch 120 km und führt zuerst über den Col de la Bonette und dann noch über den Col du Vars.

Bei der Abfahrt vom Bonette handle ich mir noch ein Lob von Norbert ein, nachdem ich eine größere Gruppe österreichischer Boxer-GS und Harleyfahrer mit Karacho weggeschnupft habe.

„Hätte ich Dir so nicht zugetraut, wie Du es den Brüdern gezeigt hast“ meint er, „das hat mir gefallen“.

„Das hat seinen Grund,“ antworte ich, „mir tut der Arsch weh, ich will heim“

Der Abend wird lustig. Zu Bier und Rotwein kochen wir eine Riesenportion Spaghetti, während Nobi eine feurige Hackfleischsauce macht, mache ich eine Veggie-Variante mit Zucchini, Paprika, Zwiebeln, Pilzen, Knoblauch, gehackten Tomaten und auch ordentlich Chili, Basti isst kein Fleisch, sofern es sich vermeiden lässt.

Später gesellt sich noch ein gewisser Jack Daniels in Cola dazu, es ist halb zwei, als es still wird.

Wir können ausschlafen, für Mittwoch habe ich nur einen Programmpunkt, der hat es allerdings in sich.
 
R

Reincarnator

Themenstarter
Dabei seit
18.11.2016
Beiträge
2.763
Und für die, die sich - Danke - die Mühe gemacht haben, das alles zu lesen, hier in komprimierter Form und in bewegten Bildern:


Die einzelnen Tage, tlw. noch einmal überarbeitet, findet ihr auch als pdf-Dateien auf moppedsammler.de
 
R

Reincarnator

Themenstarter
Dabei seit
18.11.2016
Beiträge
2.763
Dankeschön. Das freut mich natürlich ganz besonders.

Jetzt werde ich mal persönlich:

Ich habe nicht viel anzubieten, denn da wo wir herumgefahren sind, fahren tausend andere und berichten darüber bei Insta, youtube, facebook oder tiktok. Oder eben hier.
Die Spanne ist groß, während die Einen es unfallfrei über das Stilfser Joch geschafft haben, fahren die Anderen mit dem Einrad solo durch den Himalaya. Beides hat seine Berechtigung, die Maßstäbe sind eben unterschiedlich.

Natürlich geht einem Vieles durch den Kopf, vorher, nachher und während solcher Unternehmungen. Auch das Alter spielt mehr und mehr eine Rolle. Mit meinen Reportagen will ich auch das transportieren, das man nicht sieht, deshalb wehre ich mich gegen den Begriff "Bericht".
Berichte habe ich schreiben müssen, als ich noch im Staatsdienst war.

Es ist vor allem der Norbert, der mich aus meiner Komfortzone holt, mich anspitzt und provoziert, mich antreibt. Nobi ist sehr speziell, das hat auch mit seiner Familiengeschichte zu tun und mit brutalen Schicksalsschlägen, die er wegstecken musste, die ich nicht weiter erzähle.
Aber er ist der Kämpfer, dazu einer, der menschengemachte Gesetze ohnehin in Frage stellt, zuweilen auch physikalische.
Mehrfacher Deutscher Meister in Motorbootrennen, fährt seit seiner Jugend Motocross, Autorennen und ist der mit Abstand beste Kfz-Meister, den ich je kennenlernte. Er weiß und kann da fast alles.

Nobi hat kein smartphone und kein Navi. Aber er findet allein bei Nacht ohne Karte den Weg vom Pornostrand in Cap d'Adge in ein Dreiseelen-Nest am Arsch der Welt in den Cevennen. Als er sagte, dass er sich das Treiben im 120 km entfernten Cap d'Adge, von dem er gehört habe, mal anschauen will, hielten wir das für einen Witz. Norbert macht da keine Witze.

Bevor er zugibt, dass etwas "nicht geht" ist er dreimal daran gescheitert. Und wenn mir der Arsch auf Grundeis geht, heißt es: "Stell Dich nicht so an, ich will Deinen Enkeln ja erzählen können, dass ihr Opa was drauf hat."

Er ist die treibende Kraft, dass ich mich in meinem Alter nicht längst komplett in meine Versorgungsempfänger-Komfortzone zurückgezogen habe. Er ist auch schuld an unserem BMW Z4. Während ich genüsslich das Brummen des Sechszylinders im niedrigen Drehzahlbereich und moderaten Tempo genieße, schaltet er alle Assistenzsysteme aus, stellt auf den Sportmodus und meint "Jetzt schauen wir mal, was der Bock so kann."

Dass ich da nicht gekotzt habe, ist ein Wunder.

Jetzt habe ich wieder zuviel geschrieben, das hagelt wieder Beschwerden bei den Mods und ich werde irgendwo gesperrt. Sofern das nicht passiert, werde ich mich heute order morgen daran machen, den Mittwoch aufzuschreiben. Da ging es wahrlich hoch hinaus.
 
boro

boro

Dabei seit
07.08.2009
Beiträge
4.304
Ort
Ludwigsburg
Modell
R1250GS BJ2019
Nochmal vielen Dank für die super erzählte Reportage. Und mit 66 Jahren noch so gut diese Strecken hoch- und wieder runterzukommen ist auch aller Ehren wert. :daumen-hoch:
Ich bin 13 Jahre jünger und würde nach wenigen Metern wieder umdrehen...falls das irgendwie möglich ist. :happyyeah:


Ich freue mich auf die Fortsetzung.


Gruß
Jochen
 
Thema:

WASTL September 2023: Schon wieder Westalpen ?

WASTL September 2023: Schon wieder Westalpen ? - Ähnliche Themen

  • 2023 September Tour - Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

    2023 September Tour - Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: <Achtung: dieser Bericht enthält etwas mehr Text als sonst 😉 > Eigentlich war für die September Tour ähnlich wie bei @boro eine ca. 10/12 tägige...
  • Genussfahrer

    Genussfahrer: Ich sehe die F750GS sehr, sehr selten auf der Straße. Eben ein echtes Mauerblümchen. 😉 Da fahre ich am 06.09. den Grimsel-Pass wieder runter, da...
  • Tirol und Dolomiten Mitte September?

    Tirol und Dolomiten Mitte September?: Hey, weiß jemand, wie Mitte September das Wetter in Tirol und den Dolomiten meistens ist? Überlege, dort für ein paar Tage zu fahren. Startpunkt...
  • 3 Wochen TET Schweden: 17./18. August ---> 06. September 2023

    3 Wochen TET Schweden: 17./18. August ---> 06. September 2023: Hallo, fährt jemand etwa Mitte August (17-18. August) Richtung Schweden (TET) und sucht noch einen Mitfahrer? Ich fahre eine Tenere 700 (hab aber...
  • WASTL 3.0 Auf Schotterwegen in den Hautes Alpes und dem Piemont

    WASTL 3.0 Auf Schotterwegen in den Hautes Alpes und dem Piemont: Hallo Forum Was zu lesen: http://moppedsammler.de/data/documents/WASTL-kpl.pdf
  • WASTL 3.0 Auf Schotterwegen in den Hautes Alpes und dem Piemont - Ähnliche Themen

  • 2023 September Tour - Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

    2023 September Tour - Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: <Achtung: dieser Bericht enthält etwas mehr Text als sonst 😉 > Eigentlich war für die September Tour ähnlich wie bei @boro eine ca. 10/12 tägige...
  • Genussfahrer

    Genussfahrer: Ich sehe die F750GS sehr, sehr selten auf der Straße. Eben ein echtes Mauerblümchen. 😉 Da fahre ich am 06.09. den Grimsel-Pass wieder runter, da...
  • Tirol und Dolomiten Mitte September?

    Tirol und Dolomiten Mitte September?: Hey, weiß jemand, wie Mitte September das Wetter in Tirol und den Dolomiten meistens ist? Überlege, dort für ein paar Tage zu fahren. Startpunkt...
  • 3 Wochen TET Schweden: 17./18. August ---> 06. September 2023

    3 Wochen TET Schweden: 17./18. August ---> 06. September 2023: Hallo, fährt jemand etwa Mitte August (17-18. August) Richtung Schweden (TET) und sucht noch einen Mitfahrer? Ich fahre eine Tenere 700 (hab aber...
  • WASTL 3.0 Auf Schotterwegen in den Hautes Alpes und dem Piemont

    WASTL 3.0 Auf Schotterwegen in den Hautes Alpes und dem Piemont: Hallo Forum Was zu lesen: http://moppedsammler.de/data/documents/WASTL-kpl.pdf
  • Oben