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Reincarnator
Themenstarter
- Dabei seit
- 18.11.2016
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Mittwoch, 6. September
Das Höchste.
„Das waren nur noch 130 km bis Nizza“ meint Norbert beim Frühstück und bezieht sich damit auf den Wegweiser in Jausiers, bevor es zum Bonette raufgeht.
„Stimmt“ sage ich. „Und von St. Etienne, wo wir gestern zurückfuhren waren es nur noch 80.“
Zwar kann ich den Braten noch nicht riechen, aber bereits den vorgeheizten Ofen. Ich weiß um Norberts Affinität zum Meer und habe wohl registriert, dass er total angefixt ist, seit Mike ihm von seiner Teilnahme an der Hard Alpi Tour 2018 berichtet hat, die in San Remo am Mittelmeer startet.
Mit Mühe war ihm beizubringen, dass eine Teilnahme nicht mehr möglich ist, die Rallye beginnt jetzt am Wochenende.
Außerdem habe ich bereits Pläne für die kommenden Tage geschmiedet.
Der Plan für heute ist überschaubar. Wir fahren durch das Val des Prés über den Col de l’Échelle nach Bardonecchia und von dort rauf auf den Colle Sommeiller.
„Und was ist da?“
„Nichts, außer jeder Menge Gegend und den Resten eines Gletschers. Und es ist der höchste, legal anfahrbare Punkt in den Alpen, seit die Auffahrt zum Bontadini verboten wurde. Deshalb muss jeder, der Stollenreifen auf dem Moped hat, da auch mal raufgefahren sein.“
Mike nickt. Wir beide waren schon dreimal gemeinsam dort oben. Erstmals im September 2015, der Tag war auch gleich unsere allererste Begegnung mit unbefestigten Straßen, die manche als „offroad“ bezeichnen, was natürlich Unsinn ist, es sind „offizielle“ Straßen.
Ich verfalle ins Grübeln. „Damals“ ist schon wieder 8 Jahre her. Ich war 58 Jahre alt, hatte mit meinen zahlreichen Straßenmotorrädern alle hohen Alpenpässe teils mehrfach befahren und mir im Winter 14/15, die Frage gestellt, wie man das noch toppen kann, oder ob das alles war.
Die Antwort lieferten google und eine website namens „Schmeißfliege“. Der Betreiber, auch Motorradfahrer, schilderte darin die Schwierigkeiten, den höchsten, legal anfahrbaren Punkt der Alpen, nämlich einen Parkplatz an der Punta Sommeiller auf 2995m Höhe, zu erreichen.
Blick vom ersten Aufstieg auf das Rif. Scarfiotti
Dahinter verbirgt sich ein Pass, nämlich der Colle Sommeiller (italienisch) bzw. Col de Sommeiller (französisch) direkt auf der Grenze zwischen den beiden Ländern, auf 3009m Höhe und nur zu Fuß erreichbar.
Germain Sommeiller (1815-1871), dessen Name sich gänzlich anders ausspricht, als die Bezeichnung für einen Weinkellner, weil das „i“ vor den beiden „l“ steht, war ein italienischer Bergbauingenieur und baute den Frejus-Bahntunnel, erstmal unter Einsatz von Dampfkraft.
Ihm zu Ehren wurde der Berg Punta Sommeiller, dessen Höhe man sich leicht merken kann (3333m) ebenso benannt, wie der Gletscher und der kleine See auf dem Hochplateau.
Da mich immer alles rund um meine Reiseziele interessiert, habe ich mein Wissen ein wenig vertieft, so stieß ich auf die jährlich am zweiten Juliwochenende dort stattfindende Stella Alpina, dieses Treffen Verrückter, das ich schon im Prolog angesprochen hatte.
Und auf die Antwort auf die Frage, wer um alles in der Welt auf die Idee kam, da eine Straße hoch zu bauen und vor allem weshalb, denn im Gegensatz zu den anderen markanten Hochpunkten wie Pramand, Jafferau, Chaberton oder auch dem Col du Parpaillon, die alle militärische Bedeutung hatten und haben, trifft das auf den Sommeiller nicht zu.
Tatsächlich wurde die Auffahrt in den 50er Jahren angelegt um ein Sommerskigebiet zu erschließen, hierzu wurde auch das Rifugio Ambin errichtet, das als Schutzhütte und Wetterstation diente.
In den 60er Jahre setzte eine Lawine dem ganzen Treiben ein Ende.
Das schien Erich Kästner bereits lange zuvor geahnt zu haben, als er 1930 das Gedicht „Maskenball im Hochgebirge“ verfasste, in dem es heißt:
Das Gebirge machte böse Miene
Das Gebirge wollte seine Ruh‘
Und mit einer mittleren Lawine
Deckte es die blöde Bande zu
Dieser Vorgang ist ganz leicht erklärlich
Der Natur riss einfach die Geduld
Andere Gründe gibt es hierfür schwerlich
Den Verkehrsverein trifft keine Schuld
Das gesamte, sehr lesenswerte Gedicht findet man hier:
Maskenball im Hochgebirge
Das Skigebiet wurde danach aufgegeben, die Straße verfiel durch Frost, Gerölllawinen, Steinschlag usw. Am Ende der pian dei frati sind noch Asphaltreste vorhanden
„Damals“ hatte ich beschlossen: „Da muss ich rauf“. Nicht alleine, das war klar, das ist zu riskant, aber Mike und Jörg waren dabei, ich hatte für jeden eine Enduro und mit meinen Kawasaki KLR 650, Yamaha XT600 Ténéré und Honda NX650 fuhren wir los. Am Sommeiller lernten wir den Bayern Matthias kennen, der mit einer 800er Tiger die Pisten befährt.
„Machts ihr dös zum erschten Moi?“
„Ja“, sagte Mike damals und zeigte mit dem Finger auf mich „der ist schuld“
„Dös is wia a Virus. Wann ihrs oimol hobt, werd‘ ihr des nimma los“, prophezeite der sympathische junge Mann und sollte Recht behalten.
Fachgespräch auf 3000m Höhe: Mike und Matthias aus Bayern (2015)
„Hey, Hallo, noch da?“ holt mich Norbert aus meinen Tagträumen. Er steht bereits in seiner Motorradhose vor mir und will wissen, ob das, was ich für heute geplant habe, auch für seine TDR taugt.
An die hatte ich gar nicht mehr gedacht. Diese zweizylindrige, zweitaktende Rarität aus den späten 80ern steht noch in Bastis Bus, Norbert hat sie mitgenommen, dass die „auch mal gefahren wird“.
Bei dem Gedanken, dieses wertvolle Mopped über die grobe Piste zu jagen, schüttelt es mich, aber Kfz-Meister Norbert Gimpl ist da schmerzfrei „Dafür ist das gebaut“ und hat damit letztendlich auch Recht, denn die TDR ist eine dual sports – Waffe.
„Größtenteils ist es smooth,“ antworte ich, „ab dem Rifugio Scarfiotti wird es etwas grober.“
Dass ich damit maßlos untertreibe, weiß ich in dem Moment noch nicht.
Jetzt gibt es Abendbrot. Dann geht es weiter...
Das Höchste.
„Das waren nur noch 130 km bis Nizza“ meint Norbert beim Frühstück und bezieht sich damit auf den Wegweiser in Jausiers, bevor es zum Bonette raufgeht.
„Stimmt“ sage ich. „Und von St. Etienne, wo wir gestern zurückfuhren waren es nur noch 80.“
Zwar kann ich den Braten noch nicht riechen, aber bereits den vorgeheizten Ofen. Ich weiß um Norberts Affinität zum Meer und habe wohl registriert, dass er total angefixt ist, seit Mike ihm von seiner Teilnahme an der Hard Alpi Tour 2018 berichtet hat, die in San Remo am Mittelmeer startet.
Mit Mühe war ihm beizubringen, dass eine Teilnahme nicht mehr möglich ist, die Rallye beginnt jetzt am Wochenende.
Außerdem habe ich bereits Pläne für die kommenden Tage geschmiedet.
Der Plan für heute ist überschaubar. Wir fahren durch das Val des Prés über den Col de l’Échelle nach Bardonecchia und von dort rauf auf den Colle Sommeiller.
„Und was ist da?“
„Nichts, außer jeder Menge Gegend und den Resten eines Gletschers. Und es ist der höchste, legal anfahrbare Punkt in den Alpen, seit die Auffahrt zum Bontadini verboten wurde. Deshalb muss jeder, der Stollenreifen auf dem Moped hat, da auch mal raufgefahren sein.“
Mike nickt. Wir beide waren schon dreimal gemeinsam dort oben. Erstmals im September 2015, der Tag war auch gleich unsere allererste Begegnung mit unbefestigten Straßen, die manche als „offroad“ bezeichnen, was natürlich Unsinn ist, es sind „offizielle“ Straßen.
Ich verfalle ins Grübeln. „Damals“ ist schon wieder 8 Jahre her. Ich war 58 Jahre alt, hatte mit meinen zahlreichen Straßenmotorrädern alle hohen Alpenpässe teils mehrfach befahren und mir im Winter 14/15, die Frage gestellt, wie man das noch toppen kann, oder ob das alles war.
Die Antwort lieferten google und eine website namens „Schmeißfliege“. Der Betreiber, auch Motorradfahrer, schilderte darin die Schwierigkeiten, den höchsten, legal anfahrbaren Punkt der Alpen, nämlich einen Parkplatz an der Punta Sommeiller auf 2995m Höhe, zu erreichen.
Blick vom ersten Aufstieg auf das Rif. Scarfiotti
Dahinter verbirgt sich ein Pass, nämlich der Colle Sommeiller (italienisch) bzw. Col de Sommeiller (französisch) direkt auf der Grenze zwischen den beiden Ländern, auf 3009m Höhe und nur zu Fuß erreichbar.
Germain Sommeiller (1815-1871), dessen Name sich gänzlich anders ausspricht, als die Bezeichnung für einen Weinkellner, weil das „i“ vor den beiden „l“ steht, war ein italienischer Bergbauingenieur und baute den Frejus-Bahntunnel, erstmal unter Einsatz von Dampfkraft.
Ihm zu Ehren wurde der Berg Punta Sommeiller, dessen Höhe man sich leicht merken kann (3333m) ebenso benannt, wie der Gletscher und der kleine See auf dem Hochplateau.
Da mich immer alles rund um meine Reiseziele interessiert, habe ich mein Wissen ein wenig vertieft, so stieß ich auf die jährlich am zweiten Juliwochenende dort stattfindende Stella Alpina, dieses Treffen Verrückter, das ich schon im Prolog angesprochen hatte.
Und auf die Antwort auf die Frage, wer um alles in der Welt auf die Idee kam, da eine Straße hoch zu bauen und vor allem weshalb, denn im Gegensatz zu den anderen markanten Hochpunkten wie Pramand, Jafferau, Chaberton oder auch dem Col du Parpaillon, die alle militärische Bedeutung hatten und haben, trifft das auf den Sommeiller nicht zu.
Tatsächlich wurde die Auffahrt in den 50er Jahren angelegt um ein Sommerskigebiet zu erschließen, hierzu wurde auch das Rifugio Ambin errichtet, das als Schutzhütte und Wetterstation diente.
In den 60er Jahre setzte eine Lawine dem ganzen Treiben ein Ende.
Das schien Erich Kästner bereits lange zuvor geahnt zu haben, als er 1930 das Gedicht „Maskenball im Hochgebirge“ verfasste, in dem es heißt:
Das Gebirge machte böse Miene
Das Gebirge wollte seine Ruh‘
Und mit einer mittleren Lawine
Deckte es die blöde Bande zu
Dieser Vorgang ist ganz leicht erklärlich
Der Natur riss einfach die Geduld
Andere Gründe gibt es hierfür schwerlich
Den Verkehrsverein trifft keine Schuld
Das gesamte, sehr lesenswerte Gedicht findet man hier:
Maskenball im Hochgebirge
Das Skigebiet wurde danach aufgegeben, die Straße verfiel durch Frost, Gerölllawinen, Steinschlag usw. Am Ende der pian dei frati sind noch Asphaltreste vorhanden
„Damals“ hatte ich beschlossen: „Da muss ich rauf“. Nicht alleine, das war klar, das ist zu riskant, aber Mike und Jörg waren dabei, ich hatte für jeden eine Enduro und mit meinen Kawasaki KLR 650, Yamaha XT600 Ténéré und Honda NX650 fuhren wir los. Am Sommeiller lernten wir den Bayern Matthias kennen, der mit einer 800er Tiger die Pisten befährt.
„Machts ihr dös zum erschten Moi?“
„Ja“, sagte Mike damals und zeigte mit dem Finger auf mich „der ist schuld“
„Dös is wia a Virus. Wann ihrs oimol hobt, werd‘ ihr des nimma los“, prophezeite der sympathische junge Mann und sollte Recht behalten.
Fachgespräch auf 3000m Höhe: Mike und Matthias aus Bayern (2015)
„Hey, Hallo, noch da?“ holt mich Norbert aus meinen Tagträumen. Er steht bereits in seiner Motorradhose vor mir und will wissen, ob das, was ich für heute geplant habe, auch für seine TDR taugt.
An die hatte ich gar nicht mehr gedacht. Diese zweizylindrige, zweitaktende Rarität aus den späten 80ern steht noch in Bastis Bus, Norbert hat sie mitgenommen, dass die „auch mal gefahren wird“.
Bei dem Gedanken, dieses wertvolle Mopped über die grobe Piste zu jagen, schüttelt es mich, aber Kfz-Meister Norbert Gimpl ist da schmerzfrei „Dafür ist das gebaut“ und hat damit letztendlich auch Recht, denn die TDR ist eine dual sports – Waffe.
„Größtenteils ist es smooth,“ antworte ich, „ab dem Rifugio Scarfiotti wird es etwas grober.“
Dass ich damit maßlos untertreibe, weiß ich in dem Moment noch nicht.
Jetzt gibt es Abendbrot. Dann geht es weiter...
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