Teil 2 der "Ochsentour"
Oberer Bereich der Parpaillon-Südrampe. Nichts für Leute mit Akrophobie
Hier könnte man auch mal wieder durchwischen
Es ist anstrengend, aber es klappt dann doch besser als gedacht. Spätestens als ich über einen kopfgroßen Felsbrocken gerumpelt bin, dem ich nicht mehr ausweichen konnte und bei dem ich mir eigentlich schon sicher war, den Abflug zu machen, aber die schon quer stehende BMW wieder einfangen konnte, kommt etwas mehr Selbstvertrauen auf.
Trotzdem gilt es nun hochkonzentriert weiter zu fahren, um mich nicht doch noch aufs Maul zu packen, denn viel besser wird das bis zur Brücke nicht mehr.
Wir passieren zwei Schweizer, eine Frau, die neben ihrem abgestellten Motorrad steht und einen korpulenten Mann, der ihr von etwas weiter unten entgegenläuft, auch da steht ein Motorrad. Es sind beides naked-bikes von Ducati. Die Frau signalisiert, dass alles okay ist und sie keine Hilfe braucht. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass sie verheulte Augen hat.
Dann hänge ich hinter zwei Typen auf Enfield Himalayan mit belgischen Kennzeichen, ebenfalls offensichtlich Mann und Frau, die derart unberechenbar im Sitzen hin und her über die Brocken rumpeln, dass ein gefahrloses Überholen nicht möglich ist.
Üblicherweise hält man dann an und lässt Schnellere vorbei, aber die beiden denken gar nicht daran.
Eventuell haben die mich auch nicht bemerkt, hupen will ich nicht, so wie die fahren, fallen die vor Schreck sehr sicher vom Mopped.
Wahre Dramen spielen sich hier am Parpaillon ab.
Das nächste Drama bahnt sich am Vesperplatz am Pont de Bérard an, über den man nicht mehr fahren darf, Einsturzgefahr, man fährt durch eine Bachfurt. Als ich eintreffe, läuft die Vorstellung schon.
Basti macht große Wäsche
Hauptdarsteller ist Basti, der mit irgendwelchen Kleidungsstücken erst zum Bach und dann zu der Hütte nebenan läuft, wo er sie über den Zaun hängt.
Auf dem Boden verteilt liegen mehrere Sorten Lebensmittel, eine halbvolle Flasche Orangensaft und direkt aus Bastis Topcase gibt es snackgemüse in Orangensauce.
Er hatte die Einkäufe aus dem Supermarkt in Guillestre ohne besondere Sicherungsmaßnahmen ins Topcase gelegt, dass das den Parpaillon nicht überlebt, hätte ich ihm sagen können. Bei mir war es 2016 jedoch eine Halbliterflasche Motoröl.
Man spricht Basti jetzt besser nicht an und es kommt auch nichts mehr von den Essensresten in sein Topcase.
Der Schweizer Ducatifahrer hat seinen Hobel mittlerweile in unserer Nähe abgestellt und sich zu Fuß bergauf auf den Weg gemacht. Einige Zeit später kommt er mit der zweiten Ducati an, die Frau, die wir weiter oben gesehen hatten, kommt zu Fuß.
Gegenüber einer weiteren Gruppe Motorradfahrer, von denen mindestens Einer Deutsch spricht, prahlt der dicke Schweizer mit der Universaltauglichkeit der straßenbereiften Duc, während die Frau abseits von allen auf einem Stein sitzt und mit leerem Blick vor sich hinstarrt.
Wir ahnen, was in der armen Frau vor sich geht, die sich möglicherweise in Todesangst mit einer für diese Zwecke denkbar untauglichen Maschine abgequält hat, bis sie nicht mehr konnte.
Norbert verdreht nur die Augen und sagt leise "So ein Vollidiot".
Pont de Bérard. Wegen Einsturzgefahr gesperrt
Es folgen noch ein paar Kilometer weniger ruppige Schotterpiste, auf der man jedoch auch auf Auswaschungen achten muss, dann führt die asphaltierte Straße in Serpentinen in das Dorf La Condamine-Châtelard.
In der zweiten Kurve hupt Norbert und schließt zu mir auf: „Hast Du Deine Luftpumpe dabei?“
Habe ich leider nicht, die liegt in meinem Zimmer in Briancon. Der Vorderreifen der Tuareg ist luftleer. Auch die Felge der 660er weist eine satte Beule auf, die Aprilia hat keine Schlauchreifen, so konnte die Luft entweichen.
Wir fahren entsprechend langsamer weiter, in Jausiers ist eine Kfz-Werkstatt und die haben einen Kompressor. Mit drei bar reicht der Anpressdruck des Reifens gegen die Felge, der Aprilia-Vorderreifen hält die Luft.
Wir müssen zunächst weiter nach Barcelonette und dann wieder zurück nach Jausiers, denn in Barcelonette ist die einzige Tankstelle im Umkreis und der Tank von Mikes SWM ist klein.
Jetzt nehmen wir den Bonette in Angriff, man folgt in Jausiers dem Schild „Nice“. Dieser Wegweiser löst in Norbert etwas aus, von dem wir erst später erfahren.
Zuweilen wird das Gerücht verbreitet, der Col de la Bonette sei der höchste (asphaltierte) Pass der Alpen. Das ist falsch. Das ist der Iséran mit 2770m in Savoyen, gefolgt vom Stelvio (2757m) in Südtirol und dem Agnel (2744m) auf der italienisch-französischen Grenze, ganz in der Nähe. Der Col de la Bonette bringt es nur auf 2715m und damit auf den vierten Platz.
Höher liegt der Einbahn-Rundkurs um die Cime de la Bonette mit 2802m am Hinkelstein, dem beliebten Fotomotiv am Bonette.
Aber das ist eben kein Pass, sondern ein Kreisverkehr.
Und „la plus haute d’Europe“, wie das ein Schild am Fuß des Bonette behauptet, ist das auch nicht, das ist das Ende des Rosi-Mittermaier-Tunnels an der Ötztaler Gletscherstraße mit 2830m, ein Parkplatz für Reisebusse.
„Hinkelstein“ an der Cime e la Bonette
Auf der C.d.l.Bonette: „Da unten geht es über den Col de la Moutière“
Nach dem obligatorischen Hinkelsteinfoto fahren wir drei Kilometer zurück Richtung Jausiers, dann biege ich im spitzen Winkel links ab, die Schotterpiste führt uns zum kaum bekannten Col de la Moutière, eine unscheinbare Anhöhe mit einem alten Gefechtsstand aus dem zweiten Weltkrieg. Kurz vor dem Moutière ist eine geschotterte Abzweigung, die nach Bayasse und damit zur D902, der Route des Grandes Alpes führt, die über den parallel verlaufenden Col de la Cayolle geht.
Hier rechts führt die „Straße“ nach Bayasse. Zum Glück wollen wir da nicht hin
Ich bin die noch nie gefahren, weiß aber aus verschiedenen Quellen, dass die Querspange extrem grob und sehr schwer zu fahren sein soll. Die lassen wir, wo sie ist.
Nach dieser Abzweigung ist die landschaftlich wunderschön durch die hochalpine Landschaft führende, schmale Straße nach St. Dalmas-le-Selvage wieder asphaltiert.
Zum Col d’Anelle muss ich mich gleich am Ortseingang des kleinen Dörfchens rechts halten, an einem Parkplatz vorbei und anschließend über eine Brücke des Torrent de Gialorgues, der Weg zum Anelle führt südlich des Baches.
Am Parkplatz gebe ich ordentlich Gas, wir sind außerorts, es gibt keine Geschwindigkeitsbeschränkung, halali.
Als ich es sehe, ist es zu spät.
Den Huppel. Das Hindernis. Die Schikane. Eine dieser bescheuerten künstlichen Bodenwellen, an der die weiße Farbe, die sie sichtbar macht, fast gänzlich verblasst ist. Ich habe locker 80 Sachen drauf.
Bremsen macht keinen Sinn mehr, ich brauche den vollen Federweg der Gabel, komme im letzten Moment noch in den Stand, verlagere Gewicht nach hinten und gebe nochmal einen kurzen Gasstoß.
Die BMW hebt ab, meine Knie federn durch, der Sattel haut mir gegen den Arsch, aber ich lande stabil. Mike erklärt mir nachher, das habe ausgesehen, als wolle mich mein eigenes Hinterrad in der Luft überholen.
Alter Schwede… wäre ich noch im Sattel gesessen, nicht auszudenken.
„Ach, du heilige Sch…“
Nach der Brücke beginnt die Schotterstrecke. Auch die ist ruppig, aber das war sie schon immer. Ich fahre hier zum dritten Mal. Es sind nur drei Kilometer bis zu dem einsamen Pässchen in 1739m Höhe, an dem fünf – hauptsächlich von Wanderern benutzte - Wege zusammentreffen. Ich stelle fest, dass mir hier noch nie ein anderes Fahrzeug begegnet ist.
Auf der Passhöhe ist ein Brunnen, ein Wanderer kommt vorbei, grüßt freundlich und füllt seine Wasserflaschen.
Basti fragt mich, ob man das trinken könne. Ja, das kann man. Das schmeckt sogar sehr gut. Solche Trinkwasserbrunnen findet man in der Gegend häufiger und man sollte das nutzen, ich erkläre Basti, dass das Quellwasser hier so gut ist, dass ihm sogar wieder Haare wachsen. Er füllt seine Flasche und droht mir mit Konsequenzen, falls das nicht stimmt. Immerhin habe ich nicht gesagt, wann und wo.
Qualität von SW-Motech
Die fünf Kilometer lange, serpentinenreiche Abfahrt nach St. Etienne sur Tinnée ist sandig-steinig und rutschig, eigentlich nicht schwer, aber wir sind ausgepowert, man muss sich sehr konzentrieren, hier keine Fehler zu machen. Ich fahre die Kehren übervorsichtig im Sitzen.
In St. Etienne angekommen, versucht sich Basti in einem Reparaturversuch des SW-Motech Topcaseträger. Die wenig vertrauenserweckende, nach hinten nicht abgestützte Rohrkonstruktion ist gebrochen.
So ein Träger mag für Touren auf schlechten Asphaltstraßen noch taugen, die Strecken auf denen wir unterwegs sind, hält der nicht aus.
Auch die ausgeklügelten Kofferklicksysteme sind da überfordert, aus gutem Grund habe ich das Topcase meiner BMW zusätzlich verschraubt.
Meine Karre sieht aus wie Sau
Es ist 18 Uhr vorbei und ich denke, alle haben jetzt genug. Wir fahren auf direktem Weg in unser Basislager nach Briancon. Der „direkte Weg“ beträgt immerhin noch 120 km und führt zuerst über den Col de la Bonette und dann noch über den Col du Vars.
Bei der Abfahrt vom Bonette handle ich mir noch ein Lob von Norbert ein, nachdem ich eine größere Gruppe österreichischer Boxer-GS und Harleyfahrer mit Karacho weggeschnupft habe.
„Hätte ich Dir so nicht zugetraut, wie Du es den Brüdern gezeigt hast“ meint er, „das hat mir gefallen“.
„Das hat seinen Grund,“ antworte ich, „mir tut der Arsch weh, ich will heim“
Der Abend wird lustig. Zu Bier und Rotwein kochen wir eine Riesenportion Spaghetti, während Nobi eine feurige Hackfleischsauce macht, mache ich eine Veggie-Variante mit Zucchini, Paprika, Zwiebeln, Pilzen, Knoblauch, gehackten Tomaten und auch ordentlich Chili, Basti isst kein Fleisch, sofern es sich vermeiden lässt.
Später gesellt sich noch ein gewisser Jack Daniels in Cola dazu, es ist halb zwei, als es still wird.
Wir können ausschlafen, für Mittwoch habe ich nur einen Programmpunkt, der hat es allerdings in sich.