Nicht heute, aber die letzten Tage.
Albanien ließ mir keine Ruhe. Nachdem ich meine Blaken Tour abrupt in Montenegro beenden musste, blieb mein eigentliches Ziel Albanien unerreicht.
Nach einiger Recherche und Abstimmung in der Familie war ein Zeitfenster für eine Fortsetzung schnell gefunden. Diesmal sollte die Anreise aufgrund des engen Zeitplans und des aufsummierten Kilometerstands nicht durch den Balkan gehen. Stattdessen bot sich die Fähre von Venedig nach Igoumenitsa im Norden von Griechenland unweit der albanischen Grenze an. Das sollte die Anreise erträglich machen. Da ich keinerlei Erfahrung mit dem Transportweg Fähre habe, buche ich die 25 Stunden dauernde Überfahrt auf der Webseite der Reederei und entscheide mich aus Kostengründen für eine “Außenkabine mit fremdem Mann”. Nun ja, wird schon klappen.
Da die Anreise aus dem Rheinland doch über 1.000 km beträgt, entscheide ich mich, wie bei meiner letzten Balkan-Tour, wieder für einen Zwischenstopp in Österreich. Ein geeignetes Hotel an der Autobahn ist schnell gebucht. Zufrieden scheint die Anreise organisiert. Keine 24 Stunden vor meiner Abreise erreicht mich eine lapidare SMS der Reederei, um mich darüber in Kenntnis zu setzen, dass die gebuchte Fähre ausfällt. Ich soll mich dort melden, wo ich das Ticket gebucht habe. Irritiert rufe ich in Italien an und erfahre, dass man sich der Änderung nicht bewusst ist, ich jedoch recht habe. Alternativ könne ich ja ein paar Tage später reisen, schlägt mir die freundliche Dame vor. Mit steigender Nervosität sehe ich schon meine Reise scheitern, bevor sie begonnen hat. Nachdem ich ihr erläutere, dass weder mein Zeitplan noch meine bereits gebuchte Unterkunft und Vignette eine spätere Anreise erlauben, bietet sie mir eine Anreise am gewünschten Tag von Ancona an. Ein Blick auf Google Maps offenbart ca. 300 km mehr. Dankbar sage ich sofort zu. Dann erklärt mir die durchaus hilfsbereite Mitarbeiterin, dass es allerdings aufgrund des Ausfalls der Venedig-Fähre keine Kabine mehr geben wird. Also gut, ich stimme auch diesem Umstand zu. Glücklicherweise ist die Abfahrt 5 Stunden später, sodass der weitere Weg keine zusätzliche Komplikation mit sich bringt. Die Aufregung verfliegt, und die Reisedaten stehen weiterhin.
Freitag geht es los, mit dem Ziel Steinach am Brenner. Die Anreise über die 700 km gestaltet sich erneut dank des ACC entspannt. Im Hotel angekommen, gilt es, die Reisetaschen ins Zimmer zu tragen und der GS einen unauffälligen Ort für die Nacht zu finden. Ich entscheide mich statt des Parkplatzes für eine Ecke mit Mülltonne, die ich später noch vor die GS schiebe.
Am nächsten Morgen ist geht es entspannt die verbleibenden 500 km weiter nach Ancona. Vom italienischen Flair gibt es hier nichts zu sehen.
Ein kurzer Einkauf mit reichlich Proviant sichert mir das Überleben auf der bevorstehenden Überfahrt. Die Reederei möchte ein Erscheinen zum Check-in bis spätestens drei Stunden vor Abfahrt. Nachdem der Check-in innerhalb von drei Minuten erledigt ist, bleibt nichts anderes als zu warten. Im wenig attraktiven Hafenviertel findet sich ein Mittagessen auf die Hand, bevor ich zur Anlegestelle fahre, die lediglich etwas Schatten an einem Toilettenhäuschen bietet. Ich setze mich dort nieder, um der Hitze zu entgehen. Ein etwas trostloses Unterfangen, dem sich aber bald andere Motorradreisende anschließen. So begutachten die Reisenden das Setup, für das sich andere auf ihrem Weg in den Süden entschieden haben. Das Spektrum reicht von erstaunlich spärlichem Gepäck bis hin zu voll beladenen Enduros mit jeweils zwei Ersatzreifen.
Schließlich geht es los und die Motorräder finden ihren Platz tief unter der Wasserlinie. Ich verzichte auf die Suche nach meinem Pullman-Sessel und mache mich auf die Suche nach einem ruhigen Platz außerhalb des Trubels.
Unter den Rettungsbooten werde ich fündig und richte mich ein. Es ist sehr warm und auf der gesamten Überfahrt ist kein Regen zu erwarten. Da ich mit Campingausrüstung reise, habe ich die Isomatte und den Schlafsack mit an Deck genommen. Mangels Möglichkeiten, meine Sachen zu verschließen, bleiben Helm, Stiefel und die Motorradkleidung neben mir auf dem Boden. Mir kommt der Gedanke an Obdachlosigkeit in den Sinn. Na ja, immerhin bin ich am schnellsten an den Rettungsbooten, so einen ganz frischen Eindruck macht die Fähre nicht mehr.
Zum Glück bin ich weit von solch einem Schicksal entfernt und schlafe entspannt 8 Stunden, bevor ich ohne die mehr als 1400 weiteren Passagiere zu Gesicht zu bekommen und mit einem herrlichen Sonnenaufgang belohnt werde.
Immerhin hatte die Reise von Ancona den Vorteil, dass die Überfahrt 16 statt 25 Stunden dauert. So komme ich gut ausgeschlafen in Griechenland an. Nachdem wir angelegt haben, verstreuen sich die Motorradreisenden schnell in alle Richtungen. Ich frische meine Wasservorräte und meinen Proviant auf. Es geht zunächst Richtung Westen und später in Richtung Norden nach Albanien. Die GS zeigt 35 °C an und so fühlt es sich auch an. Jeder Tunnel bietet eine willkommene Abkühlung, in der ich mich hinstelle, um maximalen Fahrtwind abzubekommen.
Ich erreiche Albanien und damit das Ziel meiner Reise. Meine Freude an der Grenze ist riesig – ich habe es doch noch nach Albanien geschafft.
Es geht Richtung Ohridsee. Ich hatte mir vor der Abreise einen Campingplatz direkt am See herausgesucht. Ohne Kenntnis, wie gut ich in Albanien vorankommen werde, stellen sich zwei Erkenntnisse ein. Erstens sehen die Albaner scheinbar jegliche Verkehrsregeln als nett gemeinte Vorschläge an, und zweitens reicht die Qualität der Straßen von bis dato unbekannt schlechtem Belag bis hin zu Straßen, die besser nicht sein könnten. Und so wundert es auch nicht, dass eine Straße, deren Qualität fast schon zu gut, um wahr zu sein, erscheint, auch prompt nach einer Kurve an einem Baufahrzeug endet. Beim Absteigen kleben die Stiefel auf dem Asphalt. Es ist zwar heiß, jedoch ist die Ursache schnell ausgemacht. Die Straße sieht und fühlt sich deshalb so neu an, weil sie es ist. Hinter dem Baufahrzeug entsteht gerade der Teil, auf dem es weitergehen soll. Der überaus freundliche Fahrer erklärt mir ohne gemeinsame Sprache, dass es wohl in etwa eineinhalb Stunden weitergeht. Ich bin entspannt und entschließe mich zu warten.
Es dauert nicht lange, bis sich eine gut gelaunte und sehr unterhaltsame Gruppe von Reisenden und Einheimischen meiner Entscheidung anschließt. Wie versprochen, geht es weiter und genauso schnell, wie die Runde vereint war, löst sie sich auch wieder auf.
Albanien setzt die Begegnungen mit landwirtschaftlichen Tieren meiner Balkanreise fort. Und auch hier erwartet einen buchstäblich hinter jeder Kurve eine neue Überraschung.
Ich erreiche den Campingplatz sehr entspannt und schlage im Sonnenuntergang mein Zelt auf, bevor ich ein köstliches Abendessen mit lokalem Bier genieße, mich mit den superfreundlichen Besitzern unterhalte und sehr zufrieden einschlafe.
Auf meiner weiteren Route in Richtung Norden wechselt der Straßenbelag weiterhin in rascher Weise. In den Orten entscheide ich mich für eine defensive Fahrweise und bleibe bei erhöhter Achtsamkeit. Die albanische Fahrweise ist zwar grundsätzlich rücksichtsvoll, jedoch kommt es immer wieder zu für mich bis dato völlig unbekannten Manövern, die ich kaum vorhersehen kann. Ein Vergleich kommt mir in den Sinn: Wenn Autofahren in Marseille das Rheinland wäre, dann ist Albanien Marseille. Ich entscheide mich, weit rechts zu fahren, und bleibe für den Rest meiner Tour dabei. Eine gute Entscheidung, wie sich mehrmals am Tag herausstellen wird. Erneut stoppt ein Bauarbeiter die Weiterfahrt. Geduldig schaue ich bei zugegebenermaßen ziemlicher Hitze zu, wie ein Bagger außerhalb meiner Sichtweite eine Gerölllawine nach der anderen auf die Straße vor mir auslöst.
Da bleiben die Kühe, Schafe und Ziegen die harmlosere Variante der Verkehrshindernisse. Schließlich endet der Asphalt deutlich früher, als ich auf der ausgewiesenen Straße erwartet hätte, um schließlich in ein steiles Geröllfeld überzugehen, das erneut von schweren Baumaschinen befahren wird. Ich muss einsehen, dass trotz meiner eingeplanten und willkommenen Offroad-Passagen hier mit meinem Setup kein Weiterkommen ist und kehre um. Die Tatsache, dass mir weder jemand folgt noch Fahrzeuge entgegenkommen, spricht ebenfalls gegen die Passierbarkeit dieses Abschnitts.
Mein nächstes Ziel ist Rruga e Arbërit, Klos. Eine für Albanien ungewöhnlich moderne Brücke überspannt die Schlucht. Hier sollte meine Drohne zum ersten Mal zum Einsatz kommen. Ernüchterung stellt sich ein, als ich feststellen muss, dass ich den Controller nicht eingepackt habe. Ich muss dringend meine Checkliste verbessern.
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