ABER: Die Hauptgefährdung geht m.E. nicht, bzw. nicht statistisch relevant, von Aggros auf zwei Rädern aus sondern von viel profaneren Verkehrsteilnehmern.
(SNIP)
Diese Fälle stellen aber wahrscheinlich 5-10% der tödlichen Unfälle. Höchstens.
Ich finde, du machst da eine ganz schwierige Diskussion auf. Für die allermeisten Motorradfahrer in Europa sind Straßen das Feld, in dem sie ihren Spieltrieb ausleben und durchaus auch den Rausch der Geschwindigkeit erleben. Ist gut so, will ihnen ja gar keiner wegnehmen. Aber die große Mehrheit der Straßenverkehrsteilnehmer hat im Straßenverkehr ganz andere Intentionen. Die fahren nicht um zu fahren, sondern um anzukommen, um ihren Job zu erledigen oder zur Arbeit zu kommen. Okay, einige fahren vielleicht auch, um die Gegend zu genießen. Ich finde, alle diese Gründe sind mindestens gleichberechtigt, wenn nicht sogar wichtiger als der Grund, sich auf der Straße auszutoben. Und natürlich ist es ein Problem, wenn jemand Auto fährt, der aufgrund seines Alters oder irgendwelcher Behinderungen in seiner Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt ist. Aber man muss ehrlicherweise sagen, dass ein gehandicapter Mensch, der deshalb nicht mehr Auto fahren darf, mehr verliert als ein Motorradfahrer, der statt mit 120 nur noch mit 90 über die Landstraße fahren darf.
Auch die - durchaus nachvollziehbare - Verdammung der Nutzung von Smartphones am Steuer kann man hinterfragen. Manche Leute, die sich über andere Verkehrsteilnehmer aufregen, tun so, als seien sie selbst mit den Reflexen und der Konzentration eines MIG-29-Piloten gesegnet, und erwarten das von allen anderen auch. Was aber, wenn ihre Maßstäbe an die anderen unrealistisch sind, weil die anderen nicht besser können, oder diese vielleicht auch nicht wollen? Genauso wie viele Motorradfahrer für sich das Recht in Anspruch nehmen, so schnell wie möglich zu fahren, nehmen viele andere Leute für sich das Recht in Anspruch, so bequem und unanstrengend wie möglich zu fahren. Klar, da rufe ich auch: "Dann nimm halt den Zug, wenn dir das Autofahren zu viel ist!" Aber was, wenn die Antwort lautet: "Dann geh doch auf die Rennstrecke, wenn dir hier zu viele Schnarcher unterwegs sind"? Der Gesetzgeber hat den Straßenverkehr vermutlich deshalb mit so viel Sicherheitsmarge ausgestattet, weil eben nicht alle Leute aufpassen und topfit sind.
Dein Hinweis, dass Aggros vielleicht nur für 5 bis 10 Prozent aller tödlichen Unfälle verantwortlich sind, hat Schwächen: Erstens ist das nur eine Annahme, und zweitens wären 10 Prozent weniger tote Motorradfahrer immer noch 60 Tote im Jahr weniger, mehr als einer pro Woche. Ich erinnere mich, dass das Allianz-Zentrum für Unfallforschung mal eine Prognose abgegeben hat, dass eine komplette Ausstattung der gesamten Motorradflotte ca. 20% aller tödlichen Unfälle verhindern könnte. Da ist also Potenzial vorhanden.
Und es ist ja nicht so, dass sich an den anderen Fronten nichts tun würde. Die Nutzung von Smartphones wird immer härter bestraft und auch ansonsten sehe ich eigentlich kein Delikt im Straßenverkehr, das heute schwächer bestraft würde als früher. Und irgendwann muss man dann auch mal fragen: Wollen wir eine Via Sicura auch in Deutschland? Wollen wir alle jedes Jahr zum Arzt rennen, damit wir unsere Pappe behalten? Und ich als Motorradfahrer möchte nicht, dass mein Fahrstil (StVO plus MwSt.) krass kriminalisiert wird, nur weil es einige Spac.kos übertreiben.
Und zum Schluss die letzte These: Im vergangenen Jahr sind in Deutschland über 950.000 Menschen gestorben, weniger als 1% davon durch Unfälle. 2015 sind in Deutschland 8614 Menschen zwischen 15 und 75 an Unfällen gestorben, davon 2197 (ca. 25%) an Verkehrsunfällen. Es ist in Deutschland inzwischen relativ unwahrscheinlich, bei einem Verkehrsunfall zu sterben. Wie stark wollen wir unser Recht auf freie Entfaltung davon beschneiden lassen, eine sehr geringe Unfallwahrscheinlichkeit noch etwas weiter zu drücken?
Das wären alles Themen, über die man ergebnisoffen diskutieren könnte. Wenn jemand bereit dazu wäre.