Das menschliche Gedächtnis, das heißt das kollektive Gedächtnis, ist kurz! Und das ist ein schwerwiegender Nachteil für uns alle. Damit müssen wir ständig alte Hüte neu kennenlernen und können uns nicht auf althergebrachtes Wissen stützen.
Gewiss, dieses Wissen ist in Form von Höhlenmalereien (gehen wir mal zur Abwechslung in die Steinzeit, muss ja nicht immer das Mittelalter um die Ecke rum sein ;-) ), von Pergamenten, Büchern und anderen Medien festgehalten. Aber das ewige Neue, das Moderne, der Aufbruch in vermeintlich neue Zeitalter lässt dieses Wissen grausam verblassen. Und so glaubt alle Welt, dass ein Adolf Hitler einmalig ist und war, dass ein Atomkraftwerk alle 1.000.000 Jahre kaputt gehen könnte (war die felsenfeste Überzeugung in den 70er Jahren), dass es nie wieder einen Krieg geben wird, dass alle Menschen durch Yoga und Gemüsegurken zu Lichtgestalten werden würden. Ich selbst konnte erleben, wie in hochwassergefährdeten Tälern gebaut worden war, weil das Risiko nahe Null war. Der gesunde Menschenverstand jedoch sagte jedem Betrachter, dass es in diesem Bergrelief einfach zu Überschwemmungen kommen musste. Und so war es dann auch, 30 Jahre später wurden die Häuser weggeschwemmt.
Bei diesen menschlichen Fehleinschätzungen und Unzulänglichkeiten tut es gut, über konstante Werte verfügen zu können. Ich denke, das menschliche Gehirn ist darauf angelegt, mit einer solchen Kontinuität zu leben. Denn das Volk (und wer kann sich denn dem allgemeinen Glauben um sich herum verschließen?) feiert heute messiasartig einen Schah von Persien, einen Kaiser von Japan, einen Kim Yong Un, eine industrielle Revolution, und verdammt diese selben Werte einige Jahrzehnte später, ja, mag sie gar ins Gegenteil kehren. Das ist für mich ein großer Sinn der Religion, nämlich diese Beständigkeit zu vermitteln und den Leuten im Aufwärts- oder im Abwärtstaumel Halt zu geben.