Glaubt's oder nicht
Hergebrannt in den Vogesen.
Blauer Montag. Ich nenne das so, weil ich etwa 3-4 Tage vor so einem Tag die Flugwettervorhersagen genau studiere und dann entscheide, ob ich den Jungs einen Spass mit blauem Himmel bereiten möchte. Kann auch mal ein Mittwoch sein, aber nie Freitag, Samstag, Sonntag. Niemals, nur im äussersten Notfall. Denn an diesen Tagen ist es zu voll für unser Fahrvergnügen, zu viele Irre sind auf meiner Spur und hinter jedem Busch hockt ein Laserjäger....
Der Blick in den Rückspiegel zeigt, dass auch mein letzter Mann wieder dran ist. Sehr beruhigend, wenn man sich auf seine Leute verlassen kann, auch wenn wir mit moderner Funkkommunikation ausgerüstet sind - Worte sind meist überflüssig. Alles in Ordnung. Der blaue Montag ist ein voller Erfolg, maximal sieben Mitfahrer, stabiles Wetter und Kurven, Kurven, Kurven. Ich bin der Tourguide und gestalte den Jungs ihren Tag. Gutes Gefühl, spätnachmittags bei einem Eis in grinsende Gesichter zu sehen, die sich ihre Kurvenerlebnisse erzählen und sich besser fühlen als noch gestern im Büro...
Wir gleiten nach der anstrengenden Vormittagsrunde durch das Tal, streifen ein paar Dörfer und zielen auf den letzten Pass vor dem Mittagessen. Die Vogesen sind ein wunderbares Motorradgebiet, denke ich so für mich und mein allerliebster Flügelmann Markus an Position 4 schwingt die Karre hin und her, möchte wieder Kurven fahren - Recht hat er. Noch drei Kilometer bis zum Start der 13km langen Kurvenstrecke bergauf zum Col de Markstein.
Ein Gebückter surrt vorbei, zeigt uns den rechten Fuss zum Gruss und leuchtet uns den Weg mit seinen LED-Rücklichtern. Lässig, diese Franzosen - in Jeansjacke mit Protektoren, Jeans ohne Protektoren und Turnschuhen ohne Mooseinlagen. Handschuhe trägt er, ein Profi also... Naja, heute ist ja eher zügig-gemütlich angesagt, jedenfalls hatte ich die Eintragung im Forum so gemacht. Mit Luschen und Bremsern fahre ich nicht mehr, das macht mir keinen Spass. Und da ich kein Geld für die Touren kriege ertrage ich Blümchenpflücker nicht mehr. Zügig-gemütlich - die Jungs wissen was gemeint ist und es gibt keinerlei Opposition.
Der Gebückte blinkt rechts und biegt am See auf die Strasse zum Markstein ein. Markus wird noch nervöser, natürlich hat er das sofort gesehen. Ich setze den Blinker und warte bis mein letzter Mann das auch tut. Dann - Markus kann es kaum erwarten - hebe ich den linken Arm und zeige Kreise. Freie Fahrt, lasst uns Kreise fahren. Schnell die Finger an die Kupplung, ausnahmsweise den ersten Gang reinknallen, um anständig und artgerecht die erste Kurve zu begrüssen. Der Reifen ist ja warm und griffig, dennoch rutscht es ein wenig aber der Franzosenasphalt ist bei Temperaturen unter 25°C griffig und gnädig. Auf der Geraden den Berg hoch sehe ich den Gebückten gerade ums Eck verschwinden. Nun, der zweite geht bis 140, da reicht die Zeit sich in die richtige Position zu bringen - die Eier an den Tank, die Ellbogen leicht ausgefahren, Knie locker lassen. Zweiter Gang, dritter Gang. Mehr brauchen wir die nächsten 13km nicht. Markus sehe ich im Rückspiegel die anderen überholen, er will mein Flügelmann bleiben. Tschau Kollegen, wir sehen uns oben am Pass...
Der Begrenzer kommt, ich will aber die letzten 50m vor der Kurve nicht noch mal schalten, also am Gas geblieben. Dann natürlich bremsen was geht - wofür waren wir denn auf der Rennstrecke und im Kurventraining, mindestens einmal täglich sollte man sein Können aufblitzen lassen. Die Sinterbeläge der Vierkolbenanlage rauschen, der Reifen wimmert, reinkippen, Bremse langsam lösen, noch tiefer, ans Gas und dann aufziehen, wwooooaaaah. K&N Luft wird den Einspritzdüsen vorgelegt, der überhöhte Benzindruck bringt genug Sprit, das Gemisch ist also fett genug, um den Motor auch bei solchen Aktionen zu kühlen. Die höher komprimierenden Kolben tun ihr Übriges dazu. Der Sound ist geil und die nächste Kurvenkombination lässt nur Sekunden auf sich warten. Die Maschine wird eins mit dem Fahrer - man nennt es Flow, der nur an solchen Tagen ohne jeglichen Verkehr ausgelebt werden kann.
Die Kurvenkombination und die Bergaufkehren liegen dem Gebückten überhaupt nicht. Trotz lächerlichem Hang-Off mit Jeans und Turnschuhen habe ich ihn. Das Fahrwerk meiner Karre ist von Wilbers, das steckt einiges weg, auch meine Fahrweise. Er hingegen kann eben nicht bremsen, viel zu früh und schlabbrig langt er in die Eisen - sein LED Licht schimmert hell und lange. Ich habe ihn. Flügelmann Markus ist auch da, schwingt den linken Arm nach oben, wiegt den Kopf und zeigt Kreise - ok, lass uns Kreise um ihn fahren. Ich kann sein lautes helles Lachen fast hören und seine vor Freude beschlagene Sonnenbrille sehen. Flow macht alte vitale Männer doch glücklicher als ein kaltes Bier.
Der Gebückte scheint Geräusche gehört zu haben, denn plötzlich verliert er seine halbwegs gute Linie. Er schaut in seine kleinen spacigen Rückspiegelchen und muss dafür fast eine Art Schulterverbiegung durchführen. Aber dann wird es ihm irgendwie klar- wir sind die lustigen Deppen, die er im Tal überholt und lässig gegrüssst hat. Vor der nächsten Kurve bremst er etwas später, und hängt sich noch mehr neben die aggressiv klingende 600-er. Dummerweise haben die kein Drehmoment, und so kann ich in der Kurve schon früh Gas geben und mich am Kurvenausgang neben ihn setzen. Bis die Karre mal auf Touren kommt ist es fast zu spät. Hektisch die Blicke des Delinquenten in den Rückspiegel. Ich höre Markus hinter mir, Monsieur hört zwei Motorräder hinter sich - eine Jagd vom Feinsten.
Aus langer Erfahrung schaue ich immer weit Voraus und nicht auf meinen Vordermann, auch wenn er noch so turnt. Deshalb kriege ich als Erster mit, wie ein entgegenkommender Opa im Citroën seiner Oma die Vogesen erklärt und dabei ziemlich genau auf den Gebückten zufährt, der wiederum gerade uns im Rückspiegel beäugt. Ich bremse extrem ab, mein versetzt fahrender Markus auch; dadurch merkt der Kollege da vorne, dass irgendwas nicht ok ist. Unsere Maschinen haben noch keinen Lopez-Spareffekt genossen und sind mit kräftigen Doppelfanfaren ausgestattet. Gleichzeitig hupen und bremsen sollte man geübt haben, jedenfalls schreckt der Opa aus dem Schlaf und zuckt wieder nach Rechts, der Gebückte schrammt haarscharf daran vorbei und hebt dankend die Hand. Puuh! Unaufmerksam durch diesen Vorfall versaut er die nächsten Kurven komplett, lässt sich aber nicht erweichen und will vorne bleiben. Trotzdem hält er sich wie wir eisern daran, auf der rechten Spur zu bleiben. Kein Kurvenschneiden! Super, genauso wollen wir das, es garantiert das Überleben auch in brenzligen Situationen.
Wir sind wieder dran, noch 4km zeigt das Schild. Er kennt die Strecke genau, aber das nützt ihm nichts. Ich bin hier schon oft gefahren, kann die Landschaft lesen, und habe mein Tomtom welches mir wie im Videospiel die nächsten Kurven anzeigt. Zum Beispiel die kommende Hundekurve linksrum. Diese Saubiegung hat viel Platz, und zieht sich dann vor der der Parkplatzeinfahrt zu. Erschwerend kommt diese blöde Leitplanke an der Einfahrt hinzu, ist man zu schnell muss man das LED-Licht neu verdrahten, sobald man wieder mehr als Brei essen kann. Der Gebückte fährt in seinem Jadgfieber perfekt an den rechten Rand, seine Bremsen glühen wahrscheinlich, da er vorher übermässig beschleunigte. Wir sind aber wieder da. Dann dreht er die Hüfte raus, legt die Maschine schräg und zieht seinen Radius. Unaufgeregt gehe ich vom Gas und fahre ohne zu bremsen den Radius. Immer schön aussen bleiben, aussen um nachher viel Platz zu haben. Zurechtlegen nennt man sowas, es bleibt sogar Zeit im Rückspiegel Markus zu sehen, wie seine Ellenbogen noch weiter nach aussen gehen. Es ist soweit. Die Kür beginnt.
Schwänzelnd bremst der Gebückte im Hangingoff, und zwar hinten. Das macht man nur wenn einem sonst nix mehr einfällt im Angesicht dieses Eisenbiegerkunstwerks an der Parkplatzeinfahrt. Es ist nun Zeit in den zweiten Gang zu schalten, sanft einzukuppeln und mit der Verkleidung kratzend Gas anzulegen; die Drehzahl liegt optimal um dann beim Anblick der freien Strecke sofort und gnadenlos zuzuschlagen. Der Ärmste blickt immer noch auf die Parkplatzeinfahrt, sein Bremslicht leuchtet, man kann seine Angst förmlich riechen. Frei, die Strecke ist frei! Gas aufziehen und weit nach links, damit man von den Brocken nicht getroffen wird. Synchron heulen zwei Motoren, sprotteln die Begrenzer und schraddeln die Fussrasten die letzten 2km zum Passkreuz. Welch ein Tag. Helden werden heute geboren oder man fühlt sich wenigstens so. Wir kommen am Halteplatz an, die grandiose Aussicht über die Südvogesen und die Alpenkette nimmt einem den Atem. Nachdem der Motor verstummt ist, fährt der Gebückte grüssend und nickend weiter Richtung Route des Crêtes, er hats also auch geschafft. Ich meinte eine Art Respektbezeugung erkennen zu können. Recht hat er! Weiteres Gebrumm zeigt die Ankunft der restlichen Tourteilnehmer an. Ich lege meinem Flügelmann den Arm auf die Schulter und wir fühlen beide eine wirklich tiefe Befriedigung, während die Sonne sich in der roten Verkleidung der K100RT spiegelt. (
Blauer Montag, Vogesen, 31.8.2009 )