Ich war schon mal froh, als ich im Eingangspost gelesen habe, (mehr habe ich zugegebenermaßen auch nicht gelesen, da hat sicher jeder seine eigene Meinung, an der mitzudiskutieren mir nicht zusteht) dass es dem Schwiegervater besser geht und Hoffnung auf vollständige Heilung besteht. Daher ganz persönlich an Dich, Ententreiber:
Ich war bis zu meiner Zurruhesetzung 2017 Polizist, davon in den 80ern einige Jahre Dienstgruppenleiter im Streifendienst. Bis zur Einrichtung eines speziellen Verkehrsdienstes oblag es dem DGL, tödliche Verkehrsunfälle aufzunehmen und zu bearbeiten.
Und ich bin so manches Mal vor einer Tür gestanden, oft zu nachtschlafender Zeit, um mitzuteilen, dass der Sohn, Bruder, Vater, Tochter Mutter nie wieder heim kommen wird. Zwei Motorradunfälle mit insgesamt drei jungen getöteten Motorradfahrern, auf die ich schon mal eingegangen bin, das daher nicht nochmal mache, sitzen mir noch heute, fast 40 Jahre später, in den Knochen.
Weiter war und bin ich viel als Tourguide unterwegs und kenne das Gefühl, wenn plötzlich jemand aus dem Gefolge fehlt. Ich kann nicht ständig in den Rückspiegel schauen. Dann beginnt das bange Warten, das Lauschen auf ein vertrautes Motorengeräusch und das Gefühl im Magen wird immer flauer. Irgendwann fährst Du zurück und hoffst, keine Unfallsituation vorzufinden. Einmal ist es eine Panne, einmal ist der Kollege auf der Maira-Stura eben umgekippt und kam selbst wieder hoch, einige Male hat einer ein tolles Fotomotiv entdeckt und angehalten, aber einmal lagen zwei neben ihrer GS im Graben, die Sozia krümmte sich vor Schmerzen. Auch das ging am Ende noch glimpflich aus.
Und 2020 hätte es mich zum ersten Mal beinahe selbst erwischt. Wir waren zu dritt, sind aus einer Tanke in F rausgefahren und ich hielt an, um nach dem Letzten zu schauen, der noch an seinem TRS rumfummelte. Das war so eine Zufahrt mit Beschleunigungsstreifen, Sperrflächen, Abbiegestreifen und so weiter. Während ich mich noch in der Ausfahrt wähnte, stand ich mit meiner R1200GS auf der Durchgangsfahrbahn.
Als der herandonnernde Sattelzugfahrer aufs Horn drückte, konnte ich mich in letzter Sekunde mt einem Dreh am Gas und Loslassen der Kupplung retten.
Ich nahm das gar nicht so dramatisch wahr, aber der Kollege, der noch in der Tanke stand, sah mich stehen, sah den herandonnernden Laster, wie ich dahinter aus dem Sichtfeld verschwand und wartete auf den Knall.
Der war leichenblass und den ganzen Tag fertig wie ein Schnitzel. Bei mir kam der Schock 1 Stunde später und ich brauchte eine Weile, bis ich weiter fahren konnte.
Ich habe mir dann auch die Frage gestellt, ob es nicht besser wäre, das Motorrad fahren aufzugeben und ob ich vielleicht langsam zu alt werde. Da war ich 63. Und mich hinterfragt, wie es zu so einer Situation kommen konnte. Ich habe das für mich analysiert und meine Lehren daraus gezogen, dass so etwas nicht mehr passiert. Es wird extrem unterschätzt, wie sehr Mitfahrer, für die man sich als Guide verantwortlich fühlt, oder Navigation vom Verkehrsgeschehen ablenken.
Meine Tochter wollte früher immer mit mir mitfahren (bis ich eine K1100LT erwarb, die war ihr "peinlich"). Ich habe eine Ausrede nach der anderen gefunden, das zu vermeiden. Meine Frau wollte auch den Motorradführerschein machen, heute bin ich froh, dass nichts daraus wurde. Ich hätte keine ruhige Minute. Ich habe in meinem Fuhrpark auch eine VTR 1000F. Das Ding ist eine Waffe. Die steht wegen Platzmangel bei meiner Tochter und ihrer Familie. Mein Schwiegersohn läuft jedesmal mit leuchtenden Augen an dem schwarze Gerät vorbei und träumt davon, die zu fahren oder mit dem Alten auf Tour zu gehen, wenn er meine Reisereportagen liest. Zum Glück hat er keinen Motorradführerschein und ich werde alles unternehmen, dass das auch so bleibt.
Ich bin ein alter Sack, die Hütte ist bezahlt und wenn ich abtrete, ist der Schaden sehr überschaubar. Aber das ist eine junge Familie mit einem Kleinkind. Und wie das ist, wenn da Vater oder Mutter plötzlich nicht mehr da sind, habe ich zumindest schon gesehen.