Fortschritt
Nicht etwa, dass ich ernsthaft daran gedacht hätte mir so ein Teil zu kaufen. Ich kam eigentlich mehr zufällig hier vorbei. Durch die Scheiben konnte ich sie erkennen. Aber, warum nicht. Die paar Minuten. Ich betrat den Laden und näherte mich dem Prachtstück.
Schön … richtig böse sah sie aus.
Das Poster an der Rückwand zeigte einen Samurai mit erhobenem Schwert. „The Empire strikes back“ leuchtete in blutroter Schrift, pseudojapanisch verfremdet, auf dem oberen Teil des Riesenposters.
Schön … richtig böse sah das aus.
Ein Verkäufer erklärte gerade einem Interessenten einige technische Gimmicks des Geschosses.
„Mehr geht nicht. Zurzeit gibt es keinen Mitbewerber, der ein Leistungsgewicht von 0,5 kg pro PS erreicht. Noch nicht einmal annähernd!“
Der noch ziemlich junge Kunde nickte verzückt. Er betastete fast ehrfürchtig den Gasgriff des Wunderwerks. Der Verkäufer wandte sich mir zu. Wahrscheinlich wusste er genau, dass der Junge die nächsten Minuten am Objekt seiner Begierde herumfummeln würde. Das machen sie fast alle.
„Ich wollte nur mal gucken“, erklärte ich.
"Die neue Kamikaze Suizid EX 1100 von Harakiri Motors. Hier haben wir die in der Straßenversion. 305 PS bei 153 kg … vollgetankt." Der Verkäufer streckte sich und atmete durch.
Ich nickte. „Da ist schon ordentlich … ich meine … echt ordentlich!“, musste ich zugeben. Der Verkäufer lächelte überlegen. „Von Null auf Hundert in … ach was Hundert. Von Null auf Zweihundert … in weniger als sechs Sekunden!“ Er nickte gelassen und beäugte mich abschätzend. „Wir haben eine zugelassen. Wenn Sie Interesse haben?“ Ich überlegte kurz.
Der Junge hatte wohl mit einem Ohr mitgehört.
„Könnte ich vielleicht … eine Probefahrt?“, fragte er. Der Verkäufer sah mich an. Ich nickte und deutete mit dem Kopf auf den anderen Interessenten.
„Sie haben Glück, wenn Sie mal eben den Ausweis und den Führerschein ...?“ Der Verkäufer streckte die Hand aus. Der Junge fummelte aufgeregt in seiner Rennkombi herum.
Ich sah mir die neue 1100er Suizid von allen Seiten und in Ruhe an. Hightech vom Feinsten. Es hatte gedauert, aber jetzt werden sie aus dem Lager der S1050RR-Fans wieder einige Markenflüchtlinge herüberholen. War ja nur eine Frage der Zeit. Draußen vor der Fensterfront rollte der junge Kollege bereits mit dem Teil heran. Das ging aber schnell.
Ich ging zur Tür. Sie öffnete automatisch. Der Verkäufer erklärte wohl schnell noch ein paar Besonderheiten und trat dann zur Seite. Der Junge betätigte den Starter.
Schön … richtig böse hörte sie sich an.
Der Verkäufer schien noch etwas Wichtiges vergessen zu haben. Der Junge öffnete auf sein Handzeichen das Visier.
„Wie gesagt … bis zur Autobahnauffahrt ist überall 30. Und dann … nicht schneller als Hundert. Die haben gerade vor einer Woche auf diesem Abschnitt mehrere stationäre Messanlagen …“
Der Junge nickte und klappte das Visier wieder herunter. Er wartete dann aufgeregt auf eine Lücke im dichten Verkehr.
Der Verkäufer sah mich an.
„Wir haben unser Kontingent schon fast abverkauft. Speziell die Supersportler gehen zurzeit wirklich gut. Wenn Sie wirklich Interesse haben … dann …!?“
Ich nickte nachdenklich. „Ehrlich gesagt. Ich frage mich, wo man diese Leistung eigentlich … ich meine wo kann man wirklich auch nur annähernd..?“
Der Verkäufer schien bereits mit einer ähnlichen Frage gerechnet zu haben. Er drückte mir einen Prospekt vom “Neuen Nürburgring“ in die Hand. „Sie müssen nur bei der Anfahrt aufpassen. Die kontrollieren da in letzter Zeit wirklich sehr genau. Es gibt eben immer wieder ein paar Unbelehrbare … und alle anderen Vernünftigen müssen dann darunter leiden. Das ist eben so …!“
„Was läuft die denn so … Spitze meine ich?“ Ich deutet mit dem Kopf auf die Suizid. Der Verkäufer neigte sich rüber und flüsterte mir verschwörerisch zu: „Knappe 320 … habe ich schon draufgehabt. Aber da wäre auch noch mehr …“ Schelmisch grinste er mich an.
„Autobahn oder Landstraße?“, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf und schmunzelte.
Draußen bahnte sich ein Rettungswagen mit Blaulicht und Sirene den Weg. Er fuhr in Richtung Autobahnauffahrt.