Dazu einfach mal die Abschiedsworte von unserem ehemaligen BFDI lesen (welcher wegen unbequem nicht verlängern durfte):
Parlamentsbrief - Digital, frei und gleich - Um was es geht
Leider ist eine gesellschaftliche Teilhabe ohne Computer bzw Smartphones kaum mehr möglich.
Puuuh, ein langer, aber lesenswerter Artikel, bzw. Abschiedsbrief.
Habe mal den essentiellen Teil rausgeschnitten, der zu dieser Thematik passt:
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Gegen den Überwachungskapitalismus
Mindestens genauso wichtig wie der Kampf gegen überzogene staatliche Datensammlung ist der Kampf gegen den umfassenden Überwachungskapitalismus der Tech-Giganten und Datenhändler.
Natürlich stehen diesen Firmen nicht staatliche Repressionsmaßnahmen wie Gefängnis oder Geldbußen zur Verfügung. Aber die Datensammlung zur Profilbildung von allen Bürger:innen hat längst eine Dimension angenommen, die unsere freiheitliche Demokratie aufs Äußerste gefährdet. Diese Datensammlung und die Profilbildung schaffen Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Ausbeutung, Diskriminierung, Marktverzerrung und Manipulation. Vor allem aber fördern die auf diese Überwachungsmethoden aufbauenden Geschäftsmodelle längst die Radikalisierung der Gesellschaften weltweit.
Was war das noch für eine Zeit in den 1990er Jahren, als wir alle glaubten, mit dem Internet käme die große Freiheit und Gleichheit, würden kleine Inhalts- und Serviceanbieter sowie zivilgesellschaftliche Organisationen gleichberechtigt neben großen Firmen bestehen können. Dann aber haben sich die Datenkraken des Internets bemächtigt, Digitalisierung und Ausspähen gleichgesetzt, und viel zu vielen eingeflüstert, dass ohne die allumfassende Datensammelei die ganze Digitalisierung nicht bezahlbar und nicht machbar sei.
Dabei geht es bei der Kritik am Überwachungskapitalismus nicht darum, ob einem „auf Sie zugeschnittene Angebote“ oder „auf Sie passende Anzeigen“ im Internet angezeigt werden. Das Grundübel ist vielmehr, dass diese umfassende Sammlung der Daten Methoden nutzt, die unsere freiheitliche Gesellschaft unterminieren und einigen wenigen Akteuren immens große Macht zur Manipulation in die Hand geben.
Und deswegen werden alle politischen Bemühungen, die großen Plattformen zu zähmen, sie zur mehr gesellschaftlicher Verantwortung zu zwingen und Radikalisierungstendenzen im Netz zu bekämpfen, maximal begrenzte Erfolge aufzeigen. Es sei denn, man bekämpft das Grundübel, das Sammeln von personenbezogenen Daten, die für die Bereitstellung eines Services nicht benötigt werden, sowie die Nutzung bereits gesammelter Daten für andere Zwecke. Also das „Bezahlen mit persönlichen Daten“, wie es oft genannt wird.
Um möglichst viele dieser Daten sammeln zu können, werden die Menschen möglichst lange und möglichst eng an die jeweiligen Services der Unternehmen gebunden. Auch die Verleitung zu möglichst vielen Interaktion durch hohe Emotionalität oder Bedienen des Belohnungsgefühls dient dazu. Ob das dann suchtsteigernd wirkt wie bei Tik-Tok oder wie beim Meta- und X/Twitter-Algorithmus radikale Inhalte und Fake News befördert, weil diese die Nutzer:innen besonders emotional berühren, ist den Leitungen dieser Unternehmen am Ende egal, wenn nur die Kasse stimmt und an der Börse weiter Wachstum vermeldet werden kann.
All das wäre zu Ende, wenn Meta, Tik-Tok & Co. nur die wirklich für den Service benötigten Daten sammeln und selbst diese nicht mehr an Dritten weitergeben dürften. Ihre Macht zur Manipulation, sei es für den chinesischen Staat oder ihre Shareholder, würde sofort sinken. Mit der Datenschutz- Grundverordnung gibt es dafür schon eine gute Regelung, die ergänzt und deren Durchsetzung politisch unterstützt werden muss.
Damit das noch einmal gesagt ist: Es gibt keine aus Sicht der informationellen Selbstbestimmung absolut unkritischen personenbezogenen Daten. Natürlich ist ein einzelnes Datum in der Regel für sich unproblematisch, wenn es nicht schon direkt eine schützenswerte persönliche Eigenschaft darstellt. Aber die Datenkraken sammeln tausende solche Daten, kombinieren diese und erhalten ein persönliches Profil, dass unser Verhalten ausleuchtet und leider auch extrem gut voraussagt.
Diese Profile sind so umfangreich und aussagekräftig, dass sich natürlich längst die Sicherheitsbehörden vieler Staaten der Datentöpfe der Privatunternehmen bedienen und dabei Einblicke gewinnen, die staatliche Maßnahmen eigentlich nicht erlauben und die unverhältnismäßig sind.
Die Profile der großen Tech-Firmen und der Datenhändler werden täglich umfangreicher und detaillierter, weil die Datenquellen zunehmen, seien es Apps, Betriebssysteme, Kameras, Online-Konten oder Sensoren. Deswegen sind Ansätze wie „Datensouveränität“, „data literacy“ oder „risikobasierte Ansätze“ nicht geeignet, Grundprinzipien des Datenschutzes wie Zweckbestimmung und Datenminimierung zu ersetzen, sie können diese maximal ergänzen.
Die rechtliche Durchsetzung dieser vom Gesetzgeber beschlossenen Grundprinzipien sollte stattdessen sogar verstärkt werden. Dazu müsste der Grundsatz gesetzlich verankert werden, dass jegliche Profilbildung, ob privatwirtschaftlich oder staatlich, nur auf einer Rechtsgrundlage wie einer informierten, freiwilligen Einwilligung oder einer klaren gesetzlichen Regelung erfolgen darf.
Zumindest die EU versucht im digitalen Raum Regeln durchzusetzen, u.a. mit dem Digital Services Act, der KI-Verordnung oder auch dem Digital Markets Act. Die großen Anbieter müssen zur Rechtskonformität ihrer Angebote und vor allem auch zur Interoperabilität gezwungen werden, damit neue Unternehmen überhaupt Chancen mit innovativen und durchgängig rechtskonformen Angeboten haben. Dies ist aus meiner Sicht auch die einzige Chance, das Übergewicht US-amerikanischer und chinesischer Anbieter jemals wieder auszuhebeln.
Äußerst dankbar bin ich deshalb dem deutschen Bundeskartellamt und seinem Präsidenten, Andreas Mundt. Es nimmt in Europa und weltweit eine Schrittmacherrolle dabei ein, die ungehemmte Datensammlung von Großkonzernen zu verhindern. Diese Cross Sector Regulierung, die Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden, ist ein zunehmend wichtigeres Thema, dass wir als BfDI auf allen internationalen Ebenen einbringen.
Die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit war der Anstoß für die Gründung des Digital Cluster Bonn aus BfDI, BSI, Bundeskartellamt, BAFin, Bundesnetzagentur und Bundesamt für Justiz. Andere Staaten brauchen dafür Gesetze und in Großbritannien wurde sogar eine Koordinierungsbehörde geschaffen. In Bonn haben die „Digitalbehörden“ des Bundes auf Anregung des BfDI das Thema in die eigene Hand genommen.
Im Kampf gegen den Überwachungskapitalismus braucht es aber auch die nachhaltige Unterstützung von Regierungen und Parlamenten. Diese sollten selbst bei der Nutzung von Produkten und Services als Vorbild vorangehen und nicht noch zum Komplizen der Datenkraken werden. Das gilt im Großen, wenn Facebook-, TikTok- Twitter-/X oder Instagram-Auftritte dazu führen, dass alle Nutzungsdaten von den Datenkraken gesammelt werden: Für welche Inhalte interessieren sich die einzelnen Bürger:innen, wo regen sie sich besonders auf (Teilen, Schreibfehler, Kommentare), etc. Alles das darf der Staat den Datenkraken doch nicht noch auf dem Silbertablett servieren.
Und es geht bis ins Detail: Warum nutzen staatliche Websites und Apps immer wieder Services der Datenkraken, die am Ende Standortdaten, Interessensgebiete und eventuell sogar Kommunikationsinhalte der Bürger:innen bei der Nutzung staatlicher Angebote und Apps an diese Firmen übertragen? Als BfDI haben wir so oft beraten, wie man diese Angebote anders gestalten kann, investieren gemeinsam mit den Behörden viel Zeit, diese nachträglich rechtskonform zu gestalten, um dann eine Woche später beim nächsten Projekt die gleichen Muster und Fehler wieder vorzufinden.
Besonders gefährlich wird es dann, wenn aus der Politik (und aus den Medien) die Forderung kommt, rechtlich besonders problematische Angebote ohne Einschränkungen nutzen zu dürfen. So wurde zuletzt lautstark verlangt, die aus meiner Sicht völlig rechtswidrig zusammengeklau(b)te Fotosammlung von Clearview über alle Bürger:innen zur Jagd auf gesuchte Verdächtige wie untergetauchte frühere Terroristen zu verwenden, obwohl man doch lesen konnte, dass die Firma mit diesem Service auch Despoten und Stalker bedient, die damit völlig unschuldige Opfer verfolgen.
Wenn Politiker:innen eine freiheitliche und gleiche digitale Gesellschaft erreichen wollen, dann müssen sie das Übel der permanenten Überwachung durch Datenkonzerne an der Wurzel bekämpfen und nicht nur die sichtbarsten Auswüchse kappen. Dazu muss man aufhören, Lobbyisten nachzugeben, die entweder direkt am Überwachungskapitalismus verdienen, oder, wie z.B. die deutschen Medienverlage, längst in ein Stockholm-Syndrom verfallen sind. Stockholm-Syndrom, weil sie die Methoden der Tech-Giganten verteidigen in der Hoffnung, dass ein kleiner Teil deren finanzieller Gewinne auch für sie abfällt. Dabei geben sie aber alle Steuerungsmöglichkeit ihres Geschäftsmodells aus der Hand und sehen zu, wie alle lukrativen Bestandteile Schritt für Schritt durch die großen Plattformen übernommen werden.“