In mir schlagen 2 Herzen. Fahre mit meiner Panigale sehr viel Rennstrecke (ca. 30 Tage im Jahr) und liebe meine GS, die ist Top für die LS. Deshalb finde ich es immer wieder schade, wenn ich solche Aussagen wie von dem Opa da lese:..."ich würd mich irgendwie scheisse fühlen wenn mich auf ner HP4 ne GS überholt...". Passend hierzu mal ein Artikel, den ich bei Heise Autos gelesen habe:
24.02.2016 - Sportfahrer sind die angenehmsten Kraftfahrer Es lebe der Sport
"Ich bin KEIN Hipster!", ruft circa jeder Mann mit geöltem Bart, Skinny Jeans und altem
Motorrad, wenn man ihn – meistens versehentlich, seltenst böswillig – mit dem als übel wahrgenommenen H-Wort brandmarkt. Dafür, dass die ... nennen wir sie:
Kradkultisten mittlerweile eine der Hauptströmungen der Szene sind, zeigen sie sich bemerkenswert dünnhäutig. Nicht einmal die extrem empfindlichen Dschobberisten können da noch mithalten, obwohl sich die beiden Gruppen großflächig überschneiden. Ja, das wollen beide Seiten jetzt nicht hören, weil eben unerwünschte Wahrheiten am meisten kneifen in der Skinny Jeans.
Wie viele Menschen, die schlecht einstecken können, teilen die Kultisten hochmotiviert aus. Ihr liebstes Ziel ist der Fortschritt, der ihnen die Skinny Jeans mit ihrem Elasthan-Denim erst möglich machte. Fortschritt ist scheiße, und als Symbol des Fortschritts in der Motorradszene gelten immer noch die Superbikes, die damit auch scheiße sind. Die Argumentation geht so: "Wo soll das noch hinführen mit immer schneller und besser, früher wars doch auch ganz schön rhabarberrhabarber ..." Es ist ein exemplarisches Strohmann-Argument, denn das Segment supersportlicher Motorräder ist ja seit Jahren total am Ab....... Die Spitzenleistung der Sportkräder diktiert längst nicht mehr den Takt der Szene.
Ich denke, jeder Mensch ist gelegentlich überfordert und wird daher das Bedürfnis des Kultisten nach romantischer Vergangenheitsverklärung und generell einem einfacheren Leben aus dem Manufaktum-Katalog verstehen. Nur soll das nicht die einzige Meinung im Chor des Diskurses sein. Ich möchte daher eine Lanze für die Sportfahrer brechen.
Sport ist gut Ich liebe es, schnell Motorrad zu fahren, denn nirgends finde ich schneller in einen Flow-Zustand als dort. Diese Tatsache ist unbehindert einer zweiten Tatsache: dass ich als klassischer Hirnie wohl nie – in keiner Klasse – ein Rennfahrer werden kann. Ein Flow stellt sich glücklicherweise jedoch auf dem aktuellen Könnens-Niveau des jeweiligen Hirns ein, sodass eine Umschulung unnötig ist. Ich kenne auch einige andere Gernschnellfahrer. Allen ist gemein, dass sie gerne viel fahren. Wenn ich mit Tourenfahrern ausrücken muss, fahren wir eigentlich immer nur zum Kaffee trinken. Kaffee scheint die Hauptsache, Fahren eine Nebensache. Wenn ich dagegen mit dem Kollegen Toby fahre, sagt er zum Kaffee eigentlich immer: "Lass uns lieber fahren statt Kaffee trinken."
Und wahrscheinlich weil das so ist, kenne ich nur Sportfahrer, die Spott sehr robust annehmen. Das liegt daran, dass es im Sport kaum eine Möglichkeit gibt, die "Suspension of Bullshit" (Expertenbegriff) aufrechtzuhalten. Wer mit seinen Freunden die ganze Zeit Kaffee trinkt, kann seine Heldengeschichten mit der Schlagsahne des Dazudichtens ins Mystische aufspritzen, weil sie so unnachprüfbar wie die Existenz Gottes sind. Wer dagegen im nächsten Turn in Oschersleben von seinen Freunden alle zehn Minuten überrundet wird, hat sich mit egal welcher vorheriger Mystik selber so ins Lächerliche gezogen, wie es selbst seine besten Freunde nicht schaffen könnten. Deshalb gibt es im Sport so entspannend wenig Bullshit.
Statt Geschichten in der Art "wie ich früher mal voll das Sport-As war, bevor ich 150 kg wog" gibt es fit gehaltene Körper in jeder Altersklasse, denn fit fühlt sich besser an und ist stabiler beim Sturz. Am Touristen-Stammtisch ist jeder Beisitzer eigentlich James Bond in fett und in Polyester eingewickelt. Sichtbare Realität und Erzählung beißen sich tollwütig. Die Boxengasse dagegen ist voller in sich ruhender Männer, die gut wissen, was sie können oder nicht können, was die anderen können, und dass sie eben keine Rennfahrer sind, denn sonst hätten sie Kaviar-Catering und einen Truck voller Masseurinnen. Wenn ich mich entscheiden muss, wo ich lieber sitze, dauert das in etwa so lange wie diese Reflexreaktion mit dem Gummihammer aufs Knie. Boxengasse. Normale Leute.
Ich stelle jetzt die Theorie auf, dass viele bis die meisten der Motorradfahrer, die über Sportfahrer lästern, insgeheim einige Bewunderung für sie hegen, oder nehmen wir das weniger belastete Wort "Respekt". Denn obwohl immer weniger Superbikes verkauft werden, bleiben sie der Maßstab schlagsahneschwangerer Heldengeschichten der Art "wen ich heute alles überholt habe". Wenn ein Tourenfahrer Kudos für seine Überholvorgänge haben will, kann er schlecht damit angeben, wie viele noch gemütlicher cruisende Dschobberisten er überholt hat, denn die sind wahrscheinlich selbst bei landschaftssichtendem Touring-Tempo nicht von stehenden
Dschobberisten zu unterscheiden. Sogar ein überholter GS-Fahrer taugt nicht für die Heldengeschichte, obwohl jedem klar ist, dass es unter den Kunden des
meistverkauften Motorrads auch viele schnelle Fahrer geben muss.
Helden aus dem Joghurtglas Nein, die Heldengeschichte enthält stets den "Joghurtbecher", der mal so richtig abgeledert wurde. Kollege Maik zeigte mir vor langer Zeit einmal ein Video, in dem ein Mann mit seinem 1200-ccm-Zweizylinder einen Jugendlichen auf einem Sportmotorrad entlang einer schönen Bergstrecke überholte, nach minutenlangem Ringen im Quasi-Duett. Bezeichnend war, dass ihm beim Sichten und Posten des Videos nicht aufgefallen war, dass er eine der raren 400-ccm-Maschinen aus Japan getroffen hatte. Die Heldengeschichte dieser Fahrt würde ich gern beim Kaffee hören und mit dem Video vergleichen. Sie muss episch sein. Einen egal wie unsicheren Sportmotorradfahrer auf einem egal wie schwach motorisierten Sportmotorrad zu überholen, das gilt immer noch als große Tat. Von daher erfüllt die 300er-Ninja meiner Freundin wahrscheinlich viele Egos mit Freude auf die gleich beim Kaffee zu erzählende Heldengeschichte, wenn sie mit ihren viermal so großen Hubräumen an ihr vorbeiziehen. Und wenn umgekehrt sie überholt: Hey, geschenkt, war ja eine Rennfahrerin auf einem SPORTmotorrad.
Dann bin ich lieber der Gegenstand der Heldengeschichte "wie ich mit meiner ranzigen alten Güllepumpe ein Superbike überholte" als der Erzähler derselben, denn ich glaube, dass Sportfahrer im Schnitt mehr Spaß haben am Fahren. Jedem das Seine: Wer fährt, damit er was zu erzählen hat, soll das tun. Wer nicht fährt, sondern umbaut, soll sich daran freuen. Ich fahre, weil das Fahren Spaß macht. Mir hat noch nie ein Sportfahrer versucht zu sagen, wie ich Motorrad fahren soll, wie es RICHTIG (tm) sei. Motorkulturisten ebenso wie Tourenfahrer dagegen tun das ständig, keine Ahnung, warum. Es wäre daher schön, wenn sie sich ein Beispiel an BMW-Fahrern nähmen.
BMW-Fahrer sind seit jeher ein Ziel für Spott, und sie gehen damit größtenteils sehr selbstbewusst um. Und seit BMW das bei Kunden beliebteste Superbike baut, lassen sich immer wieder Teile der blau-weißen Tourenkundschaft dazu hinreißen, mal wieder so eine schnelle Maschine zu fahren. Oft wird sie danach gekauft. Der Bullshit-Ausstoß verringert sich üblicherweise im selben Maße, wie sich die Rennstreckenaktivität erhöht. Ich hoffe daher auf das erste Retro-Superbike. Es wird die Hipster-Szene entspannter machen. Dass die Hoffnung eine Grundlage hat, zeigt die Beliebtheit der Classic-Rennveranstaltungen, auf denen richtig aufgezündet wird. Die Versöhnung der H ... Kradkultisten mit den Sportfahrern ist in Sicht!