Die Erfahrungen zum Thema Grüßen, Helfen und Duzen unter Motorradfahrern waren für mich seit 1977 ein wesentlicher Bestandteil des Gesamterlebnisses. Ausführlicher beschrieben
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Seither grüße ich fast reflexartig alle entgegenkommenden Motorräder, ist mir auch schon im Auto und auf dem Fahrrad passiert.
Ich konnte, vor allem in den Anfangsjahren mehr als einmal jemandem weiterhelfen und auch mir wurde verschiedentlich geholfen. Die erste selbst erfahrene Hilfe führte damals zur Versöhnung mit meiner BMW,
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Ich hatte mit der Hercules nach zwei entsprechenden Pannen im Regen immer einen Kerzenstecker in der Jackentasche, mit dem ich dann einem Zündapp-Fahrer weiterhelfen konnte. Auch konnte ich einem Guzzi-Fahrer beim Einstellen des Kontaktabstands an seiner Le Mans helfen. Bowdenzug-Klemmnippel, Draht als Meterware und ein paar Meter Umhüllung waren immer dabei.
In besonderer Erinnerung ist mir ein Harley-Fahrer in den 1980ern an der Tankstelle im Nachbardorf geblieben. Während ich der brave Lederkombi-Motorradfahrer vom Dorf mit landwirtschaftlichem Umfeld war, war das ein tätowierter Hühne mit oberschenkeldicken Oberarmen in Fransenklamotten. Offensichtlich hatte er Probleme und schlechte Laune. Am Kickstarter war eine Fahrradpedale als Fußauflage montiert und die ganze Karre ziemlich flach. Es war heiß und er hatte eine Sprite-Dose neben dem Motorrad stehen. Bei einem der folgenden Startversuche geriet die Dose in den Schwenkbereich des Kickstarters, wurde wie eine Ziehharmonika zusammengedrückt, der klebrige Inhalt schoß als Fontäne heraus und ergoß sich über ihn und das Motorrad. Ich mußte mich an der Zapfsäule zusammenreißen, um nicht laut loszulachen und habe mich weggedreht, um nicht eventuell was aufs Maul zu bekommen. Als ich mich wieder zusammengerissen hatte, ging ich hin und fragte "was machst Du denn da?". Er wußte genau bescheid, eine Ventilspiel-Einstellschraube hatte sich gelöst, die Werkstatt an der Tankstelle war geschlossen und die Aushilfkraft hatte keinen Schlüssel. Mit seinem Taschenmesser bekam er es nicht hin. Zunächst bot ich ihm an, Werkzeug von zu Hause zu holen, er meinte dann, die 6 km zu mir würde er noch schaffen, wenn ich seine Sozia mitnähme. Und so hat er das bei uns vor der Scheune in Ordung gebracht, anschließend gabs selbstgebackenen Butterkuchen von meiner Mutter, die tätowierten Outlaws waren interessante nette Leute und ich erhielt eine Einladung, sie in ihrer Heimat zu besuchen.
"Was machst Du denn da?" fragten mich auch die drei Harley-Fahrer aus dem Ruhrgebiet, die sofort anhielten nachdem einige Autos, teils hupend, vorbeigefahren waren, als ich am Großglockner in den Abendstunden neben meiner liegenden R1200RT stand, die vom Ständer gekippt war. Ich antwortete "Ich habe sie hingelegt und möchte mal schauen, ob ich sie wieder aufstellen kann." "Oh ja, zeig mal." "Ach ich glaub, es ist doch besser, Ihr fasst mit an." und schwups, stand das Ding wieder. Es gehört auch ein gewisser Humor dazu.
Und als ich letztes Jahr wegen defekter Reservestellung des Benzinhahns mit meiner R100CS liegen geblieben war, war es auch ein Harley-Fahrer, der anbot, zur nächsten Tankstelle zu fahren und mir einen Benzinkanister samt Inhalt zu kaufen. Auf den Hinweis, ich hätte kein Bargeld dabei, meinte er "macht nichts, gleicht sich irgendwo irgendwann wieder aus". Ich habe mir dann die Anschrift geben lassen und bin eine Woche drauf hingefahren.
Vor ein paar Jahren grüßte ich einen an der roten Ampel stehenden Triumph-Fahrer. Er nahm die linke Hand vom Lenker und im nächsten Moment sah es aus dem Augenwinkel komisch aus. Im Rückspiegel sah ich, wie er umkippte. Ich bin dann wieder hin. Späteinsteiger, fuhr noch nicht lange und hatte vergessen, daß er einen Gang drin hatte.
Ich habe mal, im 2. Gang mit Vollgas beschleunigend, die rechte Hand benutzt, um Bekannte zu Grüßen, die rechts in einem Feldweg standen. Irgendwie kam mir unmittelbar vor der Bewegung der Gedanke, sie könnten die linke Hand nicht sehen, weil verdeckt. Im 2. entwickelt der Motor ein ordentliches Bremsmoment und wie mir später berichtet wurde, sah das ganze Manöver äußerst seltsam aus.
Auch in den 1980ern fuhren Typen auf zwei Rädern herum, mit denen ich privat nichts zu tun hätte haben wollen. Aber ich habe es so erlebt, daß ich mit allen zum Thema Motorrad eine gemeinsame Basis hatte. Vielleicht, weil man damals ab und zu doch gezwungen war, unterwegs Hand anzulegen, das bei der damaligen Technik allerdings auch konnte. Außerdem waren es nicht so viele und man stand in Motorradklamotten in bestimmten Bereichen gesellschaftlich am Rand, so habe ich es selbst erlebt, im Geschäft nicht bedient worden zu sein und bin noch nach abgeschlossenem Studium Anfang der 90er auf Reise aus einer Gaststätte geflogen, weil man dort "solche wie mich" nicht bediente. Dort stand vor ein paar Jahren dann "Biker Welcome" dran.
In den letzten Jahren habe ich leider immer häufiger den Gedanken gehabt, irgendwie gehörst Du nicht mehr dazu, oder es ist nicht mehr die gleiche Art Personen wie damals auf dem Motorrad. Mit vielen habe ich mir nichts zu sagen. Kann sein, es ist die verklärte Erinnerung, ich meine es war früher anders. Da kommt man auf dem Motorradparkplatz mit der schönen Aussicht an, es stehen schon 5 andere dort. Helm abgesetzt, gelächelt und "Moin" gesagt. Kein Blick, keine Antwort, sie setzen ihre Unterhaltungen fort oder gucken in die Smartphones. War früher anders.
Wenn man dann mal ins Gespräch kommt, scheint es mir bei vielen so zu sein, daß sie das Thema Motorrad anders leben, als ich und viele der Leute damals, für die das erste Kleinkraftrad mit 16 endlich die langersehnte Möglichkeit war, sich auch Nachmittags mal mit den Leuten aus der Schule zu treffen, die 20km in der entgegengesetzten Richtung von der Kreisstadt wohnten. Mangels ausreichend Geld wurde man da automatisch zum Schrauber, wenn der Bock laufen sollte, abgesehen von gelegentlichen Defekten unterwegs.
Auch damals wurde über das Motorrad des anderen gepfrotzelt, wenn es eine andere als die eigene Marke war oder nach eigener Meinung irgendwie unglücklich umgebaut. Ich habe nie erlebt, daß jemand ernsthaft beleidigt war, man bekam in gleicher Währung zurückgezahlt und das war Teil des Spaßes. Inzwischen habe ich schon gesehen, daß Leute ernsthaft beleidigt waren, wenn etwas ihrer Meinung nach unpassendes zu ihrem Motorrad oder der Marke gesagt wurde.
Heute kommen mir viele Leute wie "Motorrad-Freizeit-Konsumenten" vor, die nur begrenzt Ahnung von ihrem Untersatz haben. Das heißt nicht, daß sie nicht gut fahren, oder keine netten Menschen sind. Selbst eine Rennstrecken-Instruktorin erzählte mir, für sie sei es ein Sportgerät, aber in der Technik stecke sie nicht so drin. Die Frau fährt um Längen besser, als ich es jemals hinbekommen habe. Aber der Zugang zum Motorrad ist ein anderer. Das ist nicht verwerflich, die Zeiten haben sich geändert. Ich freue mich jedoch immer, wenn ich mal mit einem Motorradfahrer ins Gespräch komme, der "richtig was zu erzählen" hat.
Aber wenn ich von Motorradfahrern oder beim Motorradhändler gesiezt werde, dann finde ich das schon arg befremdlich.
Letztes Jahr kam ich 2km von zu Hause mit dem Fahrrad auf den ca. 40-jährigen Fahrer eines Cafe-Racers auf BMW-R100-Basis zu, der am Straßenrand stand. Super schick gemacht das Motorrad. Ich behaupte, daß ich meine R100CS in den letzten 44 Jahren sehr gut kennengelernt habe. Wenn nicht was richtig krasses ist, bekommt man das Ding wieder in Gang, außerdem habe ich die einfachen Teile wie Bowdenzüge, Vergasermembranen etc. zu Hause liegen. Also fragte ich "Na, will die Gummikuh nicht mehr?" "Hä?" Ich Vermutete, er konnte mit dem Begriff Gummikuh nichts anfangen. Also deutete ich auf das Motorrad und fragte "Läuft sie nicht mehr?" Die Antwort war "Motor ist aus" und während er das sagte, drehte er sich von mir weg und wählte eine Nummer mit dem Handy. Ich habe mich dann nicht weiter aufgedrängt. Witzigerweise habe ich Wochen später einen Menschen getroffen, der in der ADAC-Werkstatt ein- und ausgeht, wo der Cafe-Racer dann übers Wochenende zwischengelagert war. Irgendwie kamen wir auf den Cafe-Racer mit der Panne. Ja, der habe übers Wochenende dort gestanden. Der junge Mann hätte gerade den Führerschein gehabt und sich das Teil gekauft, weil er es auf einer Messe gesehen hätte und es so toll aussah, dazu die passenden Vintage-Klamotten. Aber Ahnung hätte er nicht gehabt. "Der wußte gar nicht, was er da fährt". Die Batterie war platt. Stand in doppelter Ausfertigung bei mir auf der Werkbank, ich hätte ihm eine geliehen oder geschenkt.
Ich grüße weiterhin und halte weiterhin an. Es ist ein in Jahrzehnten antrainierter Reflex. Und wenn ich auf meiner R100CS sitze, hilft er bei der Illusion, ich sei wieder 23.