Vom Elend der Nutzerkommentare 22.09.2011, 11:13
Ein Gastbeitrag von Leo Lagercrantz Das Kommentarfeld unter Artikeln: ein Trollhaus.
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Der Troll ist ein unheimliches Wesen im Web. Sein historisches Vorbild gehört nicht, wie oft angenommen wird, zur nordischen Mythologie, sondern zum Volksglauben. Er wohnt im Wald und raubt Menschenkinder, die er durch seine eigene hässliche Brut ersetzt.
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Wer ein Troll ist, und wer ein gewöhnlicher anonymer Kommentator, ist nicht leicht zu sagen. Der Troll selbst ist davon überzeugt, dass er oder sie ein mutiger Verfechter der Wahrheit ist, innerhalb einer Gesellschaft, die nach falschen Kompromissen strebt, in einer medialen Welt, die von "Feministinnen", "Gutmenschen" oder "Zionisten" beherrscht wird, die - natürlich - insgeheim von den "Muslimen" übernommen werden.
Solche Menschen, die heute Trolle sind, hat es immer gegeben. Der Unterschied aber besteht darin, dass sie früher keine Machtbasis besaßen. Diesen oft einwandererfeindlichen und immer bitteren Stimmen die Seiten der Papierzeitung zur Verfügung zu stellen, dieser Gedanke war uns völlig fremd. Nicht einmal auf den Leserbriefseiten waren sie willkommen. Doch dann wurde das Kommentarfeld im Netz erfunden. Der Einzug der Trolle in die Öffentlichkeit war ein Faktum. Es wurde unmöglich, sie zu übersehen. Sie waren überall. Jetzt waren sie es, die sich anschickten, die Öffentlichkeit zu übernehmen.
Eines gibt es, was alle Trolle gemein haben: Sie geben nicht auf. Der durchschnittliche Troll liefert zehnmal so viel Textmenge wie ein gewöhnlicher Journalist. Und die Qualität seiner Arbeit ist, trotz allen Gerüchten, oft nicht schlechter als die eines etablierten Journalisten.
Der Troll ist nicht immer ein Internet-Nerd. Er kann ein Frührentner auf dem Land sein. Oder ein pensionierter Diplomat mit einer beachtlichen Karriere. Oder eine erfolgreiche, eher melancholische Geschäftsfrau. Mehr als durch Klassenzugehörigkeit oder Geschlecht zeichnen sich die Trolle dadurch aus, dass sie traurig und einsam sind.
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Doch die Hoffnung, dass der Kampf gegen den Troll so leicht zu gewinnen wäre, erwies sich als Irrtum. Der Troll reagierte nicht, indem er aufhörte, auf der Seite zu schreiben. Er forderte mich auch nicht auf, meine Sachen zu packen und zu verschwinden. Nein, viel schlimmer: Er fing an, mit mir zu diskutieren. Und er hörte nicht mehr auf.
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