Also das ist ja eine interessante These. Woher hast Du das? Wenn ich von einem Grundstück oder auch einer nicht vorfahrtsberechtigten Straße abbiege/einfahre, so habe auf der gesamten Straße auf die ich abbiege/einfahre die Vorfahrt zu beachten - oder irre ich da?
Ich gebe mal 3 andere fiktive Beispiele um meine Sichtweise darzulegen:
Fall 1: Der Unfall-PKW-Lenker kommt nicht von links, sondern zieht vor dem zu überholenden Auto von rechts kommend rechts raus. Der Kradler sieht ihn zu spät und donnert ihm fast ungebremst ins Heck.
Fall 2: Der Kradler bemerkt beim Überholen zu spät dass er noch während des Überholvorgangs einen Zebrastreifen passiert. Der vor ihm fahrende PKW geht erst nur zögerlich vom Gas und bremst erst während der Kradler an ihm vorbeizieht. Von rechts betritt ein Kind die Straße....
Fall 3: Der vor ihm fahrende PKW zieht ohne Blinken nach links weil er in den Supermarktplatz einbiegen will.
Fall 4: Der Unfallfahrer ist nicht ein 60...80-jähriger (Früh)Rentner dem es nicht eilt, sondern ich. Zum Ausfahren aus einem Supermarktparkplatz brauche ich nicht 15 Sekunden sondern nur 7...8 Sekunden inkl. Beschleunigung auf 50 km/h. In dem Moment bin ich auch nach der Argumentation des Gerichts Vorfahrtberechtigter und der Kradler schlägt mit (sagen wir mal) 70 km/h frontal in die Schnauze meines SUV. Voraussetzung in dem Fall natürlich ich sehe ihn nicht (was unter normalen Zuständen unmöglich ist) bzw. will ihn nicht sehen.
Lass mal bitte alle geltenden Verkehrsregeln beiseite und stelle dir die Situationen aus Sicht des Kradlers vor.
Es ist wie bereits oben erwähnt eine Erbsenzählerei wer, wann, wie und weshalb Vorfahrt hatte. Jedes mal geht es mehr oder weniger bitterböse zur Sache und die Reaktionszeit um die Lage einzuschätzen beträgt nur wenige Sekunden. Zu wenig um immer rechtzeitig und vor allem richtig zu reagieren.
Aus Gründen des Selbstschutzes kann ich so nicht fahren, respektive überholen. Zu viel Unwägbarkeiten, zu wenig Sicherheit für mich und andere.
Steffens Beispiele in Beitrag #22 waren gut. In beiden Fällen kann man nicht mehr rechtzeitig reagieren bzw. auch nie so fahren dass nichts passiert, sonst ist man ständig am bremsen. Geht nicht, ein gewisses Restrisiko bleibt, das kann man auch nicht ausschalten selbst wenn man ständig seine Augen nach evtl. Ausweichraum offen hält. Man kann nicht jeden Fehler ausmerzen den andere begehen. Aber: man kann so fahren dass man nicht mehr potenzielle Gefahren schafft als ohnehin schon bestehen.
Beim Überholen ist nun mal noch mehr Aufmerksamkeit von Nöten als beim Hinterherfahren. Bremst der Vordermann und ich fahre auf, dann knalle ich ihm im Regelfall mit 10...30 km/h ins Heck, max. mit 50 km/h (wenn ich mich ans Speedlimit gehalten habe). Beim Überholen sieht es fataler aus. Im Extremfall mit 120 km/h (Entgegenkommender 50 km/h und ich als Überholender sagen wir mal 70 km/h) sofern keiner mehr bremst. Was nun passiert kann man gedanklich mal durchgehen, ich finde das braucht niemand.
Warum der Kradler den PKW von links nicht sah ist mir etwas schleierhaft. Schade dass der Unfallort nicht bekannt ist. Wenn "das Eck" nicht einsehbar war, dann frage ich mich warum er überhaupt an der Stelle überholt hat. Falls es eine gerade Straße war und beide Unfallgegner dazu noch Einheimische dann haben alle zwei schlicht gepennt und sich im ungünstigsten Moment getroffen.
Mir ist schleierhaft warum der PKW-Lenker die volle Schuld aufgebrummt bekam. Beide haben sich m.E.n. nicht korrekt verhalten, StVO hin oder her, für ausreichend Sicherheit hat keiner gesorgt.
Wäre ich ein Paragraphen-Reiter würde ich beiden den §3 Abs. 1 unter die Nase reiben und fragen was sie falsch gemacht haben und zudem wissen wollen, wie sie glauben in Zukunft zu verfahren damit ein solcher Fall nicht noch einmal eintritt.
Ein solches Urteil fördert aus meiner Sicht die fortschreitende Unmündigkeit der Bürger. Mit diesem Urteil im Rücken hat man einen Freifahrtschein für... naja, nicht rücksichtsloses.... aber weniger umsichtiges Fahren/Überholen geschaffen.
Mir sind die gut 4000 Verkehrstoten pro Jahr nicht unbedingt zu viel, diese Zahl könnte zwar niedriger sein aber ist dem hohen Verkehrsaufkommen angemessen. Damit sich auf Deutschlands überhaupt noch etwas rührt (es ist ja nicht so als werden nicht allerorts ständig neue Geschwindigkeitsbeschränkungen eingeführt, zum Abkassieren, unter dem Deckmantel der Verkehrssicherheit) muss man einen gewissen Schwund akzeptieren. Jetzt aber sich von allerhöchster Stelle sagen zu lassen man könne schon mal einen Crash produzieren und bekommt den Schaden bezahlt ist.... irgendwie... komisch!? und passt nicht ins Bild dessen was die letzten Jahre so gepredigt wurde.
Gerade eben stelle ich mir vor wie ich mit (aktuell hippen) neongelben Leibchen und knallorangen Helm mit 110 km/h durch die Innenstadt pflastere und dabei eine Rotte mit einem Dutzend Autos überhole - natürlich auf dem Hinterrad - um dann genüsslich in einen Laster zu krachen, dessen Fahrer automatisch ein Schreiben meines RA´s auf vollumfängliche Zahlung meines Schadens erhält, samt Reha auf den Malediven. Schon etwas schräg, oder nicht? Da steht mir der Mund offen, aber garantiert nicht vom vielen Reden/Schreiben...
0% Mitschuld - wie soll ich da meinen Kindern noch etwas von Eigenverantwortung erzählen oder zum Sicherheitsdenken erziehen???
"Mach du mal, wird schon passen. Wenn nicht, dann bekommst du Rückendeckung und das höchst richterlich."
Klasse! Völlig verquer!