Kapitel 18b
Wir vertrieben uns die Zeit mit Fachsimpelei. Wobei man das in der Regel fast immer wörtlich nehmen kann. Mehr Simpelei als Fachgespräche. Natürlich ging es um Motorräder. Der größte Simpel war Jerome. Was Rolf und mich natürlich weniger überraschte als die anderen Teilnehmer. Nach der an diesem Tag absolvierten Tour war Jerome ganz offenkundig zu einem Experten gereift.
Na gut, er war mit den Harleys unterwegs gewesen. In diesem Umfeld muss er sich vorgekommen sein wie der berühmte Einäugige unter den Blinden. Seine spärlichen, auf der Herfahrt frisch erworbenen Fahrkünste mussten wohl absolut ausgereicht haben, um in dieser Gruppe problemlos mitfahren zu können. Das gab ihm wohl Auftrieb. Udo, der Experte für fast alles, hatte endlich einen würdigen Gesprächspartner gefunden.
„Diese V-Motoren sind das einzig Wahre. Alles andere kann man doch vergessen“, verkündete Jerome wichtig und strich sich mit einer knappen Handbewegung die frisch geföhnten Haare aus dem Gesicht. Er hatte sich gerade wieder aufgerichtet, nachdem er wohl seinen einzigartigen V-Motor wichtig und fachmännisch inspiziert hatte. Diese fragwürdige Erkenntnis muss ihm wohl Hans-Jürgen in den Pausen ins Ohr geflüstert haben. Der alte V-Mann.
Udo plapperte irgendwas von Drehmoment, Hubraumkoeffizient und Königswellen.
„Der kann doch eine Königswelle nicht von einer Donauwelle unterscheiden“, behauptete Rolf dann und klopfte Jerome freundlich auf die Schulter. Der verzog das Gesicht und wirkte tatsächlich etwas überfordert.
„Hauptsache die Haare liegen. Frag’ ihn doch mal was über Dauerwellen. Da kennt er sich auch gut aus“, frotzelte Dietmar.
Udo blieb aber bei Königswellen. Jerome nickte lernbereit, machte aber weiterhin einen leicht überforderten Eindruck. Er würdigte uns keines Blickes mehr. Na gut, dann mussten wir uns eben jemand Anderen suchen. Waren ja noch genug Experten anwesend.
Boxermotoren waren dann noch ein Thema. Die Sauerländer hatten Verstärkung bekommen. Markus war als Nachzügler dazugestoßen. Er hatte einen Boxermotor eingebaut. Das war nun nicht weiter verwunderlich, denn er fuhr eine ziemlich alte 800er GS. Deren ebenso alten Boxermotor hatte er gegen einen etwas moderneren ausgetauscht. Nun, kein wirkliches Hightech-Aggregat aber eben ein wenig moderner. Charly war ganz begeistert. Der tauscht auch für sein Leben gern, irgendwelche alten Teile gegen neuere aus. Zuletzt hatte er versucht, in seine alte Moto-Guzzi einen Subaru-Automotor einzupflanzen. Die Guzzi hat einen Beiwagen, deshalb gab es seiner Meinung nach eine reelle Chance.
Vielleicht hätte er den Motor direkt in den Beiwagen einbauen sollen. In den Rahmen der alten Guzzi passte er anfänglich trotz aller Anstrengungen nicht hinein. Das heißt, reingepasst hat er nachher schon, aber dafür gab es dann keinen Platz mehr für die Sitzbank. Charly hätte dann als Fahrer im Beiwagen sitzen müssen.
Selbst diese befremdliche Tatsache hat ihn nicht von weiteren Versuchen abgehalten. Letztlich war es dann doch nur ein schnöder Metallpfosten, der weitere Versuche verhinderte. Der stand bei einer Probefahrt im Weg und passte ziemlich genau zwischen Beiwagen und Guzzi. Die beiden sind nun dauerhaft getrennt. Das Getriebe ist seitdem ebenfalls dauerhaft von der Guzzi getrennt, und ohne Getriebe macht die ganze Sache ja nun wirklich keinen Sinn mehr. Aber das Getriebe war ohnehin wohl das größte Problem.
Markus hatte bei seinem Umbau, seinen eigenen Angaben zufolge, keine Probleme mit dem Getriebe. Er hat ganz einfach Motor und Getriebe zusammen ausgetauscht. In seiner alten 800er GS steckt eben nun ein 1000er Boxer mit Originalgetriebe. Es gab wohl einige kleine Anpassungsprobleme, aber eben nur kleinere und keinesfalls unlösbare. Sie fährt und sie soll wohl auch nicht schlecht fahren, behaupteten die Sauerländer unisono.
Markus war mehr der ruhige Typ. Eher unauffällig, fast unscheinbar. So ein Typ, den man glatt übersieht, wenn man einen Raum betritt. Sein Motorrad fiel allerdings auf. Nicht etwa, weil es besonders aufwendig hergerichtet gewesen wäre. Nein, ganz im Gegenteil. Es fiel deshalb auf, weil es so schäbig war. Schäbig im Sinne von Rat-Bike. Zusammenfassend kann man sagen: Markus fuhr ein getuntes Rat-Bike. Eine verkommen alte 800er GS mit einem aufgemotzten 1000er Motor. Andere Kolben, andere Vergaser, andere Nockenwelle … eben alles anders.
„Stößelstangen aus Titan?“, flüsterte Charly leicht zweifelnd.
Alles durfte man diesen Sauerländern auch nicht glauben.
Warum macht man so etwas? Selbst Charly schien darüber zu grübeln. Er sah mich jedenfalls leicht fragend an. Ich zuckte mit den Schultern. „Sauerländer..!“, versuchte ich eine Erklärung zu finden. Eine andere Erklärung fiel Charly aber auch nicht ein.
Ein alter Renault Espace tauchte in der Einfahrt auf. Ein ganz alter Hund aus der ersten Baureihe. Rostig war er nicht, aber dafür ordentlich gespachtelt. Die Dinger haben ja bekanntlich eine Kunststoffkarosserie. Die wenigen Exemplare, die man gelegentlich noch auf der Straße sieht, sehen oft so aus. Ich habe keine Ahnung, wo die alle abgeblieben sind. In den Neunziger Jahren fuhren jede Menge davon herum. Weggerostet können sie ja wohl nicht sein. Für die damalige Zeit hatten die ein geniales Raumkonzept. Ein völlig ebene Bodenfläche. Von vorne bis hinten völlig eben. Jeder einzelne Sitz konnte komplett herausgenommen werden. Im Prinzip ein VW-Bus mit einer Kunststoffkarosserie. Die Dinger gingen auch noch richtig gut ab. Ich bin mal mit so einem vollgeladenen Espace mit über 200 Sachen über die Autobahn gefegt. Damals … getrieben von jugendlichem Übermut.
Der trieb mich nun nicht mehr, aber dafür trieb mich nun etwas anderes. Die Neugier vielleicht oder einfach nur das Substantiv.
Nicht …? O.k … ist vielleicht ein bisschen … aber ich lasse es trotzdem mal so stehen.
Hiltrud und Axel stürzten sich förmlich auf den verschmierten Plastikkasten. Dykes … echte lebendige Dykes. So selten sind die eigentlich gar nicht. Aber man kann sie in freier Wildbahn nur sehr schwer erkennen. Ich erkenne sie nur in Ausnahmefällen.
Dann aber auch nur, wenn sie es darauf anlegen. Also, wenn sie in extremer Aufmachung unterwegs sind oder T-Shirts mit eindeutigen Hinweisen tragen. Ich erkenne noch nicht einmal Transvestiten. Da fehlt mir wahrscheinlich ein Gen. Gut, diese Monstertransvestiten erkenne ich natürlich auch. Wenn die zwei Meter groß sind und Schuhgröße 50 haben. Dann ja … natürlich. Aber den ganz normalen Durchschnittstransvestiten, also einen geschickt geschminkten und verkleideten, halbwegs frauenähnlichen Transvestiten erkenne ich dann auch nur an der Stimme.
Da ist mir vielleicht mal ein Ding passiert! Also, fast. Das kann ich gar nicht erzählen, da treibt es mir immer noch die Schamesröte ins Gesicht. Ich hätte es früher merken müssen. Eine derart schweigsame Frau ist mir jedenfalls vorher noch nie begegnet. Danach allerdings auch nicht mehr. Das war jedenfalls mal etwas anderes, wie anders konnte ich ja nicht ahnen. Es war knapp, ganz knapp. Hölle … war das knapp!
Seitdem ist es mir lieber, wenn sie ordentlich plappern. Da weiß man wenigstens, was man hat. Es war übrigens in München, nicht etwa in Köln. Da muss man ja ständig damit rechnen. Aber in München? Das kann doch niemand ahnen, dass sich die Bayern im Fasching als Frauen tarnen und dann arglose Rheinländer angraben. Aber Schwamm drüber … ist ja noch mal gut gegangen.