Diese (obiger Beitrag) Definition von Intelligenz ist m. E., auch als spezifisches, etwas laxes Beispiel, nicht zielführend. Natürlich kann man ein Modell auch so trainieren, dass es Humor oder lose Zusammenhänge, wie oben erwähnt, erkennt und wie schon heute durch Abwandlungen von existierendem quasi neu erscheinendes kreiert. Es ist eine Frage der Prioritäten.
Der 2-3 jährige Mensch dem man den "Witz" mit der Uhr erzählt, wird vielleicht auch keinen Witz erkennen und ernsthaft antworten. Er ist trotzdem intelligent.
Es gibt viele Formen von Intelligenz. Eine spezielle Form von Intelligenz könnte man zB. als Fähigkeit definieren bekannte Strategien zu lernen, diese auf passende Probleme anzuwenden und sie zu lösen, sich Veränderungen anzupassen. All das ist mit heutigen Modellen schon mehr oder weniger gut machbar.
Woran es aber m. E. mangelt ist Kreativität, wenn wir diese als Fähigkeit definieren wirklich neue gehaltvolle Ideen und Erkenntnisse zu kreieren.
Es scheint durchaus einen Zusammenhang zwischen hoher Kreativität und Intelligenz zu geben, ob der jedoch zwingend und proportional ist, ist vermutlich nicht endgültig geklärt.
Es gibt viele Problemstellungen im Alltag, in der Mathematik, Physik, zwischenmenschlichen Beziehungen und vielen anderen Bereichen, die bisher unzureichend gelöst sind und daher kreative neue Ideen zur Weiterentwicklung benötigen.
Schach als gegenteiliges Beispiel. Schach ist ein endliches Nullsummenspiel mit perfekter Information, ohne Zufall und daher gut geeignet. Die Spielstärke eines Spielers im Schach wird mittels der sog. ELO Zahl definiert. Je besser der Spieler, desto höher die Zahl. Bei einem Spiel leitet sich aus der Differenz der ELO Zahlen der beiden Spieler ein Erwartungswert bzgl. Gewinner bzw. Remis ab. Je nach Ergebnis und Abweichung vom Erwartungswert werden nach dem Spiel die ELO Werte der Spieler angepasst. Ein Spieler kann durch andauernde Siege gegen schwächere Spieler seine ELO Zahl nicht endlos steigern.
Der momentan beste Schachspieler (und vermutlich auch der bisher beste überhaupt), Magnus Carlsen, hat momentan ca. 2850 ELO. Einer der besten deutschen Schachspieler die wir jemals hatten, Vincent Keymer (18), hat momentan eine ELO zwischen 2690-2700 und ist damit unter den besten 50 der Welt.
Die populärste konventionelle Schachengine, Stockfish, evaluiert Positionen weitgehend prozedural anhand von über Generationen von Großmeistern erarbeiteten Heuristiken, Eröffnungsbibliotheken und riesigen Tabellen, die für eine immer wachsende Anzahl von Endspielen optimale Zugfolgen definieren.
Das Erkennen passender Heuristiken um konkrete Stellungen zu bewerten und in einer Stellung erfolgversprechende Züge von anderen zu unterscheiden, die man nicht auf tieferen Ebenen weiterverfolgt, erforderte die Kreativität von Generationen von Meistern des Spieles.
All das deckt jedoch nur eine verschwindend geringe Anzahl möglicher Stellungen im Schach ab. Die aktuell spielstärksten Versionen von Stockfish kommen auf ein ELO von ca. 3500-3700 (?) Um das zu erreichen wird leistungsfähige Hardware benötigt die > 50 Millionen Züge pro Sekunde evaluiert.
AlphaZero ist ein Modell (neuronales Netz) das für unterschiedliche Spiele trainiert werden kann (Schach, Go...) Die Herangehensweise von AlphaZero ist grundverschieden. Das AlphaZero Modell verwendet keine durch Menschen definierten Heuristiken, sondern trainiert sich im wesentlichen durch Spielen von Zufallszügen (Stichwort: Monte Carlo Algorithmus) gegen sich selbst, bewertet Stellungen nach Ergebnis und einigen festgelegten Regeln. Ja nachdem, wie eine neue erreichte Stellung nach gewählten Zügen bewertet wird, werden Gewichte (vereinfacht die Stärke der Verbindung zwischen Neuronen) im Modell verändert, damit potentiell immer bessere Züge gewählt werden. Wenn ein trainiertes AlphaZero Modell spielt, bewertet es für einen Zug nicht 50+ Millionen unterschiedliche Stellungen wie Stockfish, sondern nur ca. 80'000, diese sind jedoch viel relevanter als 99% der Stellungen, die ein Stockfisch, trotz Heuristiken, in der gleichen Stellung analysiert.
Insofern ist die Herangehensweise von AlphaZero schon wesentlich menschlicher als die von Stockfish. Ein menschlicher GM kann in einem Spiel nur vergleichsweise sehr wenige Stellungen pro Zug bewerten, er ist jedoch extrem gut darin bekannte Muster zu erkennen, potentiell erfolgreiche Züge zu erkennen die er in tieferen Ebenen weiterberechnet.
Ausnahmespieler im Schach und Schachengines müssen nach obiger Definition von Intelligenz und Kreativität für gutes Schachspiel nicht kreativ, sondern lediglich intelligent sein. Das Anwenden bekannter Heuristiken / trainierter Modelle ermöglicht schon eine große Spielstärke.
Im Vergleich Stockfish - AlphaZero schneidet AlphaZero besser ab, vermutlich liegt die ELO über 4000, es ist allerdings schwierig das fair zu bewerten, da AlphaZero auf stärkere Hardware angewiesen ist und man sich auch z.B. darauf einigen muss, ob Eröffnungsbibliotheken erlaubt sind oder nicht. AlphaZero kann diese nicht nutzen und Stockfisch ist darauf optimiert diese zu nutzen. Es gibt nur eine sehr begrenzte Anzahl von Gegnern gegen die Alpha Zero spielen kann um ELO zu gewinnen (andere Engines mit hoher ELO Zahl).
Stockfish ist ein Hoch spezialisierter Algorithmus der sehr gut Schach spielt, aber eben nur Schach. AlphaZero ist ein Modell, entfernt ähnlich ChatGPT, das Mechanismen verwendet, mit denen eine Vielzahl von unterschiedlichen Strategien gelernt und auf passende Probleme angewandt werden können.
Nach obiger Definition manifestiert Stockfisch also eine Art Inselbegabung für Schach, AlphaZero bzw. noch generischere Modelle kommen der Definition einer Künstlichen Intelligenz schon sehr nahe.
Was sind eigentlich ideale Voraussetzungen für einen guten Mathematiker, Physiker, Informatiker, also allgemein einen guten Strukturwissenschafter oder einen GM in Schach? Meiner Meinung nach vor allem die Fähigkeit Strukturen zu erkennen, ein gutes Kurzzeitgedächtnis um komplexe Beschreibungen komplexer Probleme effektiv und effizient zu verarbeiten, sowie ein gutes Langzeitgedächtnis um effektiv und effizient auf schon gelerntes/verstandenes zuzugreifen und darauf aufzubauen.
All das kann der Mensch, vor allem in jungen Jahren, trainieren. Modelle sind dafür prädestiniert, sie funktionieren ja auch entfernt ähnlich dem komplexen Netzwerk im menschlichen Gehirn. Sie altern und vergessen nicht.
Was unterscheidet einen Albert Einstein, einen David Hilbert, eine Emmy Noether, einen Kurt Gödel - die Liste kann noch sehr lang werden - von anderen guten Strukturwissenschaftlern? Die Kreativität Grenzen zu überwinden und etwas Neues zu entdecken. Das kann auch die komplexeste KI heute nicht. Vermutlich wird sie das auch nicht können, solange sie keinen Zugriff auf das Erleben einer realen Welt hat. Intelligent nach obiger Definition, das kann sie aber meiner Meinung nach schon sein.
Natürlich gibt es auch andere Definitionen von Intelligenz, man könnte sich zB fragen, ob etwas das sich nicht zu einem gewissen Grade seiner selbst bewusst ist, intelligent sein kann oder man könnte vermuten, das Kreativität nur mit einem gewissen Grad von sich seiner selbst bewusst sein funktionieren kann.
Disclaimer: Ziegenpeter's persönliche Meinung